Lennox-Gastaut-Syndrom

Definition: Beim Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) handelt es sich um eine Kombination von verschiedenen Anfallstypen, EEG-Merkmalen und einem charakteristischen klinischen Verlauf. Es beinhaltet eine schwer verlaufende und schlecht therapierbare Epilepsie. Die Zuordnung zu den generalisierten Epilepsien (in der internationalen Klassifikation vorherrschend) ist umstritten; in manchen Publikationen wird es zu den fokalen Epilepsie-Syndromen gezählt.

Ätiologie: In etwa einem Fünftel bis zu 40% entwickelt sich das LGS aus einem West-Syndrom; andersherum entwickeln gut 1/3 der Kinder mit West-Syndrom ein LGS. Der Beginn des Syndroms kann abrupt sein mit einer Erstmanifestation bis hin zum Status epilepticus, jedoch ist es meist eher ein schleichender Prozess. Die später charakteristischen tonischen Sturzanfälle müssen anfänglich nicht vorkommen. Das LGS tritt vorwiegend bei Kindern zwischen 2 und 7 Jahren auf und ist bei Jungen häufiger als bei Mädchen.
Als auslösende Ursachen wird derzeit davon ausgegangen, dass es keinen zugrunde liegenden genetischen Defekt gibt, sondern ein herdförmiger Auslöser vorhanden ist. Bei einem kleineren Teil der Patienten (ca 25%) lässt sich eine solche auslösende Struktur (Gehirnläsion) nicht nachweisen (kryptogenes LGS). Dieser Anteil wird mit den verbesserten Möglichkeiten der Kernspintomographie allerdings immer geringer. Als Ursache kommen ansonsten  Stoffwechselerkrankungen in Frage, ebenso die Phakomatosen, z.B. die tuberöse Sklerose. Hinzu kommt die große und vielfältige Gruppe der Schäden, die im Rahmen der Geburt auftreten können (z.B. Sauerstoffmangel). Raumforderungen sind eher selten.

Anfallssemiologie(n): Charakteristisch für das LGS ist die Kombination verschiedener Anfallstypen, die gleichzeitig oder nacheinander auftreten können; hierbei ist eine Kombination „großer“ und „kleiner“ Anfälle ebenso anzutreffen wie eine Entwicklung hin zu einem Anfallstypus (meist Nachlassen „kleiner“ und Zunahme „großer“ Anfälle). Vertreten sind Myoklonien, seltener atonische Anfälle, die charakteristischen und obligatorischen tonischen Anfälle, astatische Anfälle, atypische Absencen, fokale und Grand-Mal-Anfälle. Es können Anfallserien bis hin zum Status epilepticus auftreten.

Befunde: Wie bei allen Epilepsie-Patienten ist ein EEG eine Standarduntersuchung.
Im interiktalen EEG findet sich häufig eine unspezifische Verlangsamung, bei der die unregelmäßigen langsamen Wellen seitenwechselnd vorkommen können. Schon im Ruhe-EEG kommen häufige Spike-Wave-bzw. Sharp-Slow-Wave-Komplexe vor. Oft findet sich eine frontale Betonung und eine Tendenz zur Generalisierung. Auch das Bild einer Hypsarrhythmie kann vorkommen, insbesondere im Schlaf-EEG.
Insgesamt ist das Bild sehr variabel und kann bei einem Patienten zwischen mehreren Ableitungen z.T. erhebliche Unterschiede aufweisen.
Das iktale EEG zeigt ja nach Anfallstypus unterschiedliche Graphoelemente. Bei myoklonischen und atonischen Anfällen finden sich bilateral synchrone Spikes oder Polyspikes, die Spike-Waves oder langsameren Wellen überlagert sein können.
Tonische Anfälle zeigen bilateral symmetische Polyspike-Komplexe oder rasche rhythmische Beta-Frequenzen. Interessanterweise kommt es hiernach nicht zu einer postiktalen Abflachung; die Grundaktivität setzt unmittelbar wieder ein.
Eine bildgebende Diagnostik (MRT) ist unabdingbar, da das LGS in der Regel auf einer nachweisbaren morphologischen Ursache beruht.
Eine neuropsychologische Untersuchung zeigt bei über 80% der Patienten höhergradige kognitive Defizite.

Therapie: Das LGS gilt als schwer therapierbar; meist kommt es zu einem langwierigen und therapieresistenten Verlauf. Dauerhafte Anfallsfreiheit ist nur bei wenigen Patienten (< 10%) erzielbar.
Als Mittel der ersten Wahl gelten heutzutage Valproinsäure, Lamotrigin, Felbamat, Rufinamide und Topiramat.   Felbamat ist  wegen seiner ausgeprägten Nebenwirkungen nur noch hier bei sonst nicht therapierbarem Verlauf als letzte Alternative zugelassen. Benzodiazepine werden seltener und meist nur temporär eingesetzt. Hier scheint das Clobazam (Frisium®) gegenüber dem Clonazepam (Rivotril®) Vorteile zu bieten.
Weitere Therapiealternativen sind Kortikosteroide, die insbesondere bei häufigen Status zu diskutieren sind. Hierbei scheint eine intermittierende hochdosierte Gabe einer konstanten Anwendung in niedriger Dosis vorzuziehen zu sein.
Gegen die Sturzanfälle hilft am ehesten ein Mittel gegen fokale Anfälle, hierbei scheint Phenytoin gegenüber Carbamazepin Vorteile zu haben. Lamotrigin ist ebenfalls wirksam. Auch Phenobarbital und Primidon können hier eingesetzt werden.
Chirurgische Maßnahmen kommen aufgrund des selten vorliegenden Falls eines einzelnen, umschriebenen und chirurgisch angehbaren Herdes eher selten in Betracht. Bei den meisten Patienten liegen mehrere Herde vor. Die Kallosotomie (Durchtrennung des Balkens - einer Verbindung zwischen den Hirnhälften) hat nur einen begrenzten Stellenwert und wird nur noch sehr selten bei Patienten mit sehr häufig auftretenden Sturzattacken durchgeführt.
Der Verlauf ist trotz Therapie meist schwer; in der Literatur wird berichtet, dass zwischen der Hälfte und weit über 80% der Patienten mit Medikamenten nicht hinreichend behandelt werden können. Die Entwicklung der Kinder ist meist verzögert; je eher das LGS einsetzt, desto schlechter ist auch die langfristige Prognose diesbezüglich. Fast immmer besteht eine Schwerbehinderung. Die neuropsychologischen Leistungen lassen im Verlauf immer weiter nach.