Interessante Fälle
Einleitung
Eines der wichtigsten und zugleich komplexesten Kapitel in der Epilepsie-Behandlung ist die Beratung von Frauen mit Epilepsie zu Fragen der Verhütung und Schwangerschaft. Oftmals sind Frauen mit Epilepsie diesbezüglich stark verunsichert.
Welche Medikamente „mit der Pille“ verträglich sind bzw. wo der Schutz herabgesetzt ist sind häufige Fragen zur Verhütung. Wenn ein Kinderwunsch besteht, steht im Zentrum des Interesse häufig die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass die Nachkommen auch an einer Epilepsie leiden werden. Insbesondere bei Eintritt einer ungeplanten Schwangerschaft kann dies sehr rasch aktuell werden.
Während der Schwangerschaft werden häufig Fragen zu Risiken und Besonderheiten der medikamentösen Behandlung gestellt. Wichtige Aspekte der Dosierung der Medikamente und das Problem der möglichen Schädlichkeit für das ungeborene Kind stehen häufig im Mittelpunkt der Beratung. Unter Ärzten wird vielmals die Frage gestellt ob eine Normalgeburt möglich oder ob sie zu bevorzugen ist. Auch nach der Geburt des Kindes sind viele Dinge zu erörtern, beispielsweise ob das Stillen angeraten wird.
Exemplarisch sollen diese Aspekte im folgenden Fall abgehandelt werden.
Der Fall:
Eine 21-jährige Frau kam in die epileptologische Sprechstunde. Sie hatte 5 und 2 Wochen zuvor zwei epileptische Anfälle erlitten. Sie schilderte diese als ca. 60-90 Sekunden andauernde „Abwesenheitsphasen“, an die sie sich nicht erinnern konnte. Eine Arbeitskollegin, die die Anfälle beobachtet hatte, beschrieb eine Blickwendung (die Richtung konnte sie jedoch nicht angeben) und Nestelbewegungen der rechten Hand. Es sei zu Speichelfluss aus dem Mund gekommen. Nach dem Anfall sei die Patientin mehrere Minuten „wie benebelt“ gewesen, habe nur langsam wieder vollständig normal reagieren und auf Ansprache adäquat antworten können. Ein Sturz wurde nicht beobachtet, „Krämpfe“ seien nicht aufgetreten, Einnässen oder Zungenbiss und Auslösefaktoren wurden von der Patientin verneint.
Insgesamt spricht die Schilderung der Patientin in Kombination mit der Fremdanamnese am ehesten für:
1.) einfach-fokale Anfälle
2.) komplex-fokale Anfälle
3.) sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle
4.) primär generalisierte tonisch-klonische Anfälle
5.) Absencen
Kommentar: die Schilderung ist typisch für komplex-fokale Anfälle. Hierbei sind insbesondere die Bewusstlosigkeit (Abgrenzung zu einfach-fokalen Anfällen) und die Nestelbewegungen (Abgrenzung zu generalisierten tonisch-klonischen Anfällen mit Konvulsionen aller Extremitäten und Absencen, die in aller Regel kürzer sind) zu erwähnen. Die Nestelbewegungen der rechten Hand sind typische Automatismen.
Im EEG fand sich zur Verdachtsdiagnose passend ein links-temporal gelegener Herd mit Epilepsie-typischen Potentialen im Herd. Die übrigen Untersuchungen waren alle unauffällig, im MRT zeigte sich kein sicher pathologischer Befund, Hinweise auf eine akute symptomatische Genese fanden sich nicht.
In der Zusammenschau wurde die Diagnose „Epilepsie mit komplex-fokalen Anfällen“ gestellt.
Es stellte sich hier die Frage nach einer Behandlungswürdigkeit der Epilepsie.
Wie würden Sie an dieser Stelle entscheiden?
1.) Zwei Anfälle sind noch zu wenige, um eine Entscheidung für eine jahrelange Therapie zu treffen; ich würde noch zurückhaltend sein und abwarten, ob weitere Anfälle auftreten.
2.) Zwei Anfälle bedeuten definitionsgemäß eine Epilepsie, daher muss unbedingt dauerhaft behandelt werden.
3.) Zwei unprovozierte Anfälle sind Anzeichen, dass ein erhöhtes Rezidivrisiko vorliegt; insofern ist mit weiteren Anfällen zu rechnen und im Interesse des Patienten sollte eine antikonvulsive Therapie begonnen werden.
Kommentar: Es sind bereits zwei Anfälle (die beobachtet worden sind) aufgetreten, ohne dass ein Auslöser festgestellt worden wäre. Insofern ist von einer beginnenden Epilepsie auszugehen.
Ein erhöhtes Rezidivrisiko liegt vor, da die Anfälle in kurzer Folge auftraten, so dass wir die Indikation zu einer medikamentösen Behandlung stellten. Das Rezidivrisiko nach 2 unprovozierten Anfällen in kurzer Abfolge ist mit etwa 50% Wahrscheinlichkeit eines dritten Anfalles in den nächsten 2 Jahren so hoch, dass eine Indikation gegeben war.
Diese wäre bei sicheren Auslösefaktoren nicht zwangsläufig zu stellen gewesen (z.B. bei Anfällen, die durch Schlafentzug provoziert wurden oder unter Alkoholeinfluss auftraten), wenn die Auslösefaktoren sicher vermieden werden könnten; insofern muss man nicht generell nach einem 2. Anfall behandeln. In der Regel ist dies jedoch der Fall.
Die Patientin erwähnte im Anamnesegespräch, dass sie in wenigen Tagen einen Termin bei der Frauenärztin habe, wo eine Verhütungsmethode diskutiert und ggf. die „Pille“ verschrieben oder eine andere Methode ausgewählt werden soll.
Insofern stellt sich bei der Auswahl des Medikaments die Frage, welches Medikament zum einen geeignet und zum anderen auch in Kombination mit der „Pille“ unproblematisch gegeben werden kann.
Welches Medikament wäre zunächst Ihre erste Wahl bei einer Epilepsie mit komplex-fokalen Anfällen (unabhängig von der „Pille“)?
1.) Carbamazepin
2.) Gabapentin
3.) Lamotrigin
4.) Levetiracetam
5.) Oxcarbazepin
6.) Topiramat
7.) Valproinsäure
Kommentar: Alle genannten Medikamente bis auf Levetiracetam können bei fokalen Epilepsien in der Monotherapie gegeben werden. Levetiracetam ist derzeit noch nicht zur Monotherapie, sondern nur zur add-on-Therapie zugelassen.
Ein „klassisches“ Medikamente zur Behandlung der fokalen Epilepsien ist Carbamazepin. Neuerdings gibt es Oxcarbazepin, eine Weiterentwicklung des Carbamazepin. Gabapentin ist vor allem bei älteren Patienten beliebt, da es wenig Interaktionspotential hat, so dass auch Begleitmedikamente keinen wesentlichen Einfluss haben.
Lamotrigin und Valproinsäure sind auch bei generalisierten Epilepsien sehr gut wirksam. Hier gelten sie neben dem Topiramat als Medikamente der ersten Wahl, aber auch bei fokalen Epilepsien sind sie durchaus in Betracht zu ziehen.
Topiramat ist wie auch Lamotrigin und Valproinsäure breit wirksam und daher bei fokalen wie generalisierten Epilepsien Mittel der ersten Wahl.
Wofür man sich schließlich entscheidet, hängt u.a. auch von Faktoren ab wie der Interaktion mit der „Pille“, wenn man eine junge Frau beraten will oder von einem potentiell schädigenden Einfluss, wenn das Medikament in der Schwangerschaft eingenommen werden soll.
Wir haben uns entschieden, im Hinblick auf die Familienplanung der Patientin ein Medikament auszuwählen, das die Wirkung der „Pille“ nicht beeinträchtigt.
Bei welchen dieser Medikamente der ersten Wahl kann man alle oder zumindest einige orale Kontrazeptiva geben, ohne dass eine Empfängnisverhütung unsicher wird?
1.) Carbamazepin
2.) Gabapentin
3.) Lamotrigin
4.) Oxcarbazepin
5.) Phenytoin
6.) Topiramat
7.) Valproinsäure
Kommentar: Carbamazepin sowie das Derivat Oxcarbazepin und Phenytoin sind Enzyminduktoren in der Leber, die die Wirkung der „Pille“ abschwächen. Lamotrigin kann zu einer Minderung der Serumkonzentration von Östrogenen führen und gilt nach neuerer Erkenntnis als nicht ausreichend sicher. Gabapentin, und Valproinsäure sind in Zusammenhang mit der „Pille“ als unproblematisch einzustufen. Topamax ist in einer Dosierung bis 200 mg/Tag unbedenklich. Falls mehr als 200 mg/Tag Topiramat eingenommen werden, gibt es eine Liste von Präparaten, deren Wirkung durch Topiramat nicht abgeschwächt wird. Diese ist unter www.topamax.de abrufbar.
Nachfolgend findet sich eine Auswahl kombinierter Kontrazeptiva, für die bei gleichzeitiger Einnahme von mehr als 200mg/Tag Topiramat laut Angaben des Herstellers nach aktuellem Wissensstand keine Einschränkung der kontrazeptiven Wirksamkeit zu erwarten ist.
Cilest®, Desmin® 20, Desmin® 30, Femigoa®, Lamuna® 20, Lamuna® 30, Leios®, Lovelle®, Marvelon®, Microgynon®, Minisiston®, Miranova®, Monostep®, Petibelle®, Valette®, Yasmin®.
Für weitere Medikamente gilt derzeit: Wirksamkeit vermindert bei Clobazam, Clonazepam, Ethosuximid und Tiagabin (alle gering vermindert), stark vermindert bei Phenobarbital und Primidon.
Andere Verhütungsmethoden auf hormoneller Basis können ebenfalls abgeschwächt sein (Dreimonats-Spritze etc.), wobei die Abschwächung nicht so ausgeprägt zu sein scheint wie bei oraler Einnahme. Nicht-hormonelle Methoden sind durch Antikonvulsiva unbeeinflusst.
Unter der Überlegung, dass Gabapentin eher für ältere Patienten eingesetzt wird und Levetiracetam, Valproinsäure und Topiramat die höhere Wirksamkeit haben dürften, kamen diese 3 Medikamente in die engere Wahl bei der Patientin.
Diese schloss jedoch nicht sicher aus, in den nächsten Jahren schwanger werden zu wollen und sprach daher an, ob es möglich sei, gleich ein Medikament zu bekommen, das im Falle einer Schwangerschaft das Kind möglichst nicht schädigt.
Hierzu kann man zunächst generelle von speziellen Empfehlungen geben.
Welche generelle Einschätzung gilt derzeit in der Epileptologie?
1.) Hauptsache ist , dass während der Schwangerschaft keine Anfälle auftreten, daher ist man bei der Gabe von Medikamenten eher großzügig und stellt im Vorfeld oft auf eine Polytherapie um.
2.) Man sollte eine bestehende Medikation vor einer Schwangerschaft möglichst nicht verändern, da sich durch die Umstellung Probleme einstellen können, die schwerwiegender sind als mögliche Nebenwirkungen des Medikaments / der Medikamente.
3.) Eine Therapie sollte grundsätzlich vor einer Schwangerschaft überdacht und nach Möglichkeit dahingehend umgestellt werden, dass eine zunächst eine Monotherapie angestrebt wird oder – falls nötig – eine Kombination aus möglichst wenigen Medikamenten; diese sollten in der niedrigsten Dosis gegeben werden, die die Anfälle kontrolliert.
Kommentar: Heute gilt weitgehend, dass einzelne Anfälle das Ungeborene nicht schädigen, daher muss bei der Einstellung auf ein Medikament nicht unbedingt und um jeden Preis Anfallsfreiheit angestrebt werden. Diese ist natürlich das Ziel einer jeden Epilepsie-Therapie, jedoch sollte gerade vor einer Schwangerschaft dies nicht dazu führen, dass eine Medikation wegen weniger Anfälle erhöht wird oder gar weitere Medikamente gegeben werden. Man gibt allgemein die niedrigste Dosis eines Medikamentes, die die Anfallssituation zufrieden stellend kontrolliert. Der wichtigste Faktor für die Schädigung eines ungeborenen Kindes ist die Zahl der gegebenen Medikamente. Daher ist, wann immer möglich, eine Monotherapie zu bevorzugen oder eine Kombinationstherapie auf so wenige Medikamente wie unbedingt nötig zu reduzieren. Bei Medikamenten, die sowohl in einer Retardform als auch unretardiert vorliegen, ist es sinnvoll, die Retardform zu geben und die Tagesdosis auf mehrere Einnahmen zu verteilen. Es gibt nämlich Hinweise, dass die schädigende Wirkung eines Medikamentes stärker von den erreichten Spitzenspiegeln als von der Gesamtdosis abhängt. Trotzdem ist auch (zumindest für Valproinsäure erwiesen) eine Abhängigkeit der Fehlbildungshäufigkeit von der Gesamtdosis erwiesen.
Wenn möglich, d.h. bei einer ein- bis zweijährigen Anfallsfreiheit, kann das Absetzen der Medikation vor einer Schwangerschaft erwogen werden.
Grundsätzlich sollte auch bedacht werden, dass Frauen mit Kinderwunsch mit Folsäure substituiert werden sollten, schon bevor eine Schwangerschaft eingetreten ist. Die genaue Dosierung ist noch nicht abschließend geklärt; 2,5 mg/die sollten jedoch ausreichend sein; bei Gabe von enzyminduzierenden Antikonvulsiva (Phenytoin, Phenobarbital, Carbamazepin) oder früherer Geburt eines Kindes mit Spina bifida können 5 mg/die gegeben werden. Eine Einnahme ist nur während der ersten 3 Schwangerschaftsmonate nötig.
Es stellt sich nun die Frage, wie die einzelnen Medikamente bezüglich einer potentiellen Schädigung einzuschätzen sind.
Welches der nachfolgend genannten Medikamente hat nach Ihrer Einschätzung das höchste Fehlbildungsrisiko (laut einer Meta-Analyse aus dem Jahr 1997, Samren et al.)?
1.) Carbamazepin
2.) Phenobarbital
3.) Phenytoin
4.) Valproinsäure
Kommentar: Laut der oben genannten Untersuchung, einer Meta-Analyse beruhend auf 1379 Schwangerschaften, besitzen Carbamazepin und Valproat beide das gleiche relative Risiko für die Ausbildung von großen Fehlbildungen. Das Risiko ist im Vergleich zu Kindern unbehandelter Frauen jeweils um den Faktor 4,9 erhöht.
Das Risiko für Kombinationsbehandlungen ist allgemein höher als das in der Monotherapie.
Ein weiterer bedeutsamer Aspekt ist, dass für Valproat eine Dosis-abhängige Fehlbildungshäufigkeit nachgewiesen wurde. Das Risiko bei Tagesdosen von über 1000 mg ist, verglichen mit demjenigen bei Dosierungen von unter 600 mg, auf das 6,8fache gesteigert.
In einer weiteren Studie aus dem Jahr 1999 wurden diese Ergebnisse vom selben Autor anhand einer niederländischen retrospektiven Studie bestätigt. Signifikante Risikoerhöhungen fanden sich für CBZ und VPA in der Monotherapie, für VPA ergab sich wiederum eine dosisabhängige Schädigungshäufigkeit. Hier wurden auch Benzodiazepine in der Polytherapie als Risikofaktor ausgemacht. Nicht überraschend wurde zudem festgestellt, dass die Kombination Carbamazepin+Valproat ebenfalls ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko mit sich bringt. Weitere Risikofaktoren, die in einer Studie von Lindhout (1994) ermittelt wurden, sind niedrige Folsäure-Spiegel und Polytherapie.
Laut einer anderen Untersuchung aus dem Jahr 1999 hat Primidon mit 14,3% das höchste Fehlbildungsrisiko der genannten Medikamente, gefolgt von Valproinsäure (11,1%), Phenytoin (9,1%), Carbamazepin (5,7%) und Phenobarbital (5,1%). Im Schnitt betrug das Fehlbildungsrisiko der Kinder aller Frauen mit Antikonvulsiva 9%. Hier zeigte sich auch der Effekt einer Polytherapie. So waren bei einem Antikonvulsivum 7,8% Fehlbildungen zu verzeichnen, bei zwei 9,6%, drei 11,5%, vier 13,5% und fünf Antikonvulsiva 15,4%. Besonders kritisch waren die Zweifachkombinationen aus Carbamazepin und Valproinsäure (21,4%) und Phenytoin und Phenobarbital (24%).
Klinisch am bedeutsamsten ist sicherlich, zum einen aufgrund der großen Verbreitung und zum anderen wegen der Schwere der Fehlbildung, das gehäufte Auftreten von einer Spina bifida unter Valproinsäure-Therapie, in geringerem Maße unter Carbamazepin. Für beide Medikamente gilt daher insbesondere, dass man die Einnahme auf die kleinste mögliche Tagesdosis reduzieren und Spitzenspiegel meiden sollte, so dass eine Verteilung der Einnahme eines Retardpräparates auf mehrere tägliche Einnahmen sinnvoll erscheint.
Möglicherweise ist die Fehlbildungsrate der „neuen“ Antikonvulsiva wie Lamotrigin und Topiramat niedriger als die der „klassischen“. Eine ausreichende Statistik gibt es diesbezüglich jedoch nicht.
Für Topiramat gibt es entsprechende präliminäre Daten. Die Rate von spontanen Aborten war nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung; bei keinem dieser Aborte wurden Fehlbildungen gefunden.
Bislang wurden 10 Schwangerschaften unter Topiramat-Monotherapie beobachtet; diese führten zu keinen Fehlbildungen. Bei 18 Schwangerschaften in Kombinationstherapie traten 3 Fehlbildungen auf, hiervon eine in Kombination mit Valproinsäure 1300 mg/die (Gaumenspalte, Neuralrohrdefekt, Hydrocephalus, dysmorphe Veränderungen). Eine fragliche Pylorusstenose wurde nach 5 Monaten operiert, zudem trat eine kleine „Hasenscharte“ bei Kombinationstherapie mit Phenytoin auf. Anfänglich bestand der Verdacht auf eine erhöhte Zahl an Hypospadien unter Topiramat (5 von 1998-2000), in den letzten Jahren sind jedoch keine weiteren Fälle mehr beobachtet worden.
In dem aktuellen Projekt des Europäischen Schwangerschaftsregisters (EURAP, www.eurap-germany.de), an dem jeder, der Schwangere mit Epilepsie betreut, teilnehmen kann, sind bislang 58 Frauen mit Topiramat erfasst.
Die Datengrundlage bisheriger Untersuchungen wie auch der o.g. Zahlen sind noch zu gering, um eine generelle Unbedenklichkeit eines Antikonvulsivums propagieren zu können. Dies gilt insbesondere für die genannten „neueren“ Medikamente. Insofern besteht für alle die Aussage, dass überprüft werden muss, ob ein Nutzen ein potentielles Risiko überwiegt.
Es muss an dieser Stelle jedoch auch betont werden, dass man nicht zwangsläufig von einem Medikament mit einem tendenziell höheren Schädigungspotential auf ein anderes umstellen muss; insbesondere, wenn eine Schwangerschaft schon eingetreten ist, ist dieses i.d.R. nicht mehr sinnvoll. Zudem gibt es kein Medikament, das keinesfalls in oder vor einer Schwangerschaft gegeben werden darf, wenn eine entsprechende Indikation vorliegt, die o.g. generellen Richtlinien sollten jedoch beachtet werden.
Nachdem diese Aspekte mit der Patientin durchgesprochen worden waren, entschieden wir uns für eine Therapie mit Topiramat. Bislang ist die Patientin mit dieser Therapie zufrieden, Anfälle traten nicht auf.
Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang oft auftaucht, ist die Frage eines Gynäkologen, ob während oder nach der Geburt weitere Probleme beachtet werden müssen.
So stellt sich die Frage, ob und wann eine Sectio notwendig ist.
Wie denken Sie darüber?
1.) Eine Epilepsie ist generell keine Indikation zur Sectio.
2.) Eine Epilepsie kann bei höherer Anfallsfrequenz eine Indikation sein.
3.) Eine Epilepsie ist generell eine Indikation zur Sectio.
Kommentar: Zunächst sollte eine Geburt auf natürlichem Wege angestrebt werden. Nur bei kompliziertem Schwangerschaftsverlauf, nachgewiesener Fehlbildung des Kindes, hoher Anfallshäufigkeit oder hochdosierter medikamentöser Einstellung kann ein Kaiserschnitt ratsam sein. Von Hausgeburten ist abzuraten, da ärztliche Hilfe hier nicht so rasch verfügbar ist.
Aus epileptologischer Sicht ist eine Epilepsie somit zunächst keine Indikation für einen Kaiserschnitt. Diese kann jedoch vorliegen, wenn die präpartale Anfallsfrequenz hoch ist. Erwägenswert ist sie bei mehr als einem Grand mal pro Woche oder mindestens einem fokalen Anfall pro Tag. Ansonsten kann auch eine passagere Benzodiazepingabe während der Geburt erwogen werden. Dies kann insbesondere aufgrund des Stresses und des Schlafmangels bei einer sich länger hinziehenden Geburt sinnvoll sein. Hier kann man z.B. 10-20 mg Clobazam oder äquivalente Dosierungen von anderer Benzodiazepine geben.
Oft stellt sich noch die Frage, ob und wann Vitamin K substituiert werden soll. Die aktuelle Empfehlung lautet, dass bei Einnahme von enzyminduzierenden Antikonvulsiva die Mutter in den letzten 4 Wochen vor dem Geburtstermin täglich 10 mg oral bekommen soll und das Kind nach der Geburt 1 mg oral oder i.m. erhält.
Eine weitere Frage, mit der man in der Beratungstätigkeit konfrontiert wird, ist, ob eine Frau, die Antikonvulsiva einnimmt, ein Kind stillen sollte.
Welche der folgenden Substanzen ist Ihrer Meinung nach in der Muttermilch unbedenklich, so dass Stillen erlaubt werden kann?
1.) Carbamazepin
2.) Lamotrigin
3.) Oxcarbazepin
4.) Phenobarbital
5.) Phenytoin
6.) Topiramat
7.) Valproinsäure
Kommentar: Für Carbamazepin, Lamotrigin, Phenytoin und Valproinsäure gilt nach derzeitigem Wissensstand das Stillen als unproblematisch. Phenobarbital kann wie auch Oxcarbazepin und Levetiracetam zu einer Sedation führen; unter Monitoring kann im Einzelfall Stillen erlaubt sein. Bei überhöhter Schläfrigkeit, Antriebsarmut oder Trinkschwäche des Säuglings sollte abgestillt werden.
Monitoring wird auch bei Gabapentin, Lamotrigin und Vigabatrin empfohlen. Für Topiramat kann keine generelle Empfehlung gegeben werden, da noch nicht genügend Daten vorliegen. Von Seiten des Herstellers wird derzeit vom Stillen unter Topiramat-Einnahme abgeraten.