Interessante Fälle
Einleitung:
Vorgeschichte: Eine Patientin kam notfallmäßig zur stationären Aufnahme, nachdem es zu Hause offensichtlich zu einem komplex-fokalen Anfall mit plötzlichem Verharren, fehlender Ansprechbarkeit und Schmatzen über einige Minuten gekommen war. Vorbekannt war bei der Patientin eine Oligoepilepsie, die etwa 5 Jahre zuvor zu einem ähnlichen Anfall geführt hatte. Nach dem jetzigen zweiten Anfall war die Patientin jedoch nicht wieder aufgeklart, sondern über Stunden in einem stuporösen Zustand verblieben. Dieser war charakterisiert durch Verharren in wechselnden Positionen, fehlender Ansprechbarkeit und intermittierenden oralen Automatismen.
In der übrigen Vorgeschichte fand sich eine Intelligenzminderung bei Zustand nach frühkindlichem Hirnschaden im Rahmen einer Risikoschwangerschaft.
Nach dem ersten Anfall war die Patientin trotz unauffälliger cranieller Bildgebung mit CCT und MRT auf 600 mg Carbamazepin pro Tag eingestellt worden und über 4 Jahre anfallsfrei verblieben. Im EEG hatte sich initial ein rechts temporaler Herdbefund gefunden. Nach Absetzen der antikonvulsiven Medikation verblieb die Patientin weitere 15 Monate anfallsfrei bis zum Auftreten des jetzigen zweiten Anfalls der zur Notfalleinweisung führte.
Verlauf:
Im weiteren Verlauf konnte bei der Patientin während eines ca. 2-monatigen stationären Aufenthaltes multiple Zustandbilder beobachtet werden. Diese ließen sich wie folgt charakterisieren:
- Mehrfach befand sich die Patientin über viele Stunden in einem katatonen stuporösen Zustand. Sie blickt starr, war nicht ansprechbar, ließ ihre Arme und Beine in verschiedene Stellungen bewegen und verharrte dann ohne den Versuch zu unternehmen die Positionierung selbständig zu verändern. Phasenweise kam es zu schmatzenden oralen Automatismen, während anderer Phasen zu produktiven Halluzinationen. Im EEG fanden sich begleitend bei normaler Grundaktivität intermitteirend frontal beidseits betonte rhythmische Deltawellen (FIRDA).
- Phasenweise war die Patientin bewusstseinsgestört, nicht erweckbar, nicht reagibel. Begleitende hochrhyhtmische Deltaaktivität im EEG ergab jetzt das Bild eines non-konvulsiven Status.
- In anderen Phasen war die Patientin wach, reagibel, jedoch verhaltensgestört, zeigte aggressive psychomotorische Erregungszustände, lief rastlos im Zimmer umher, versteckte sich im Schrank, war durch äußere Zuwendung kaum zu beeinflussen.
Apparative Diagnostik
Die ergänzende Diagnostik incl. Computertomographie des Kopfes, venöser computerisierter Angiographie und Kernspintomographie des Kopfes sowie Liquordiagnostik und die erweiterte Laborchemie ergaben jeweils Normalbefunde.
Medikamentöse Therapie:
Die Zustände waren weder durch Benzodiazepingabe (Lorazepam, Clonazepam) noch durch i.v.-Aufdosierung von Valproinsäure (2400 mg/tag), noch durch Applikation von Lamotrigin bis 200 mg pro Tag noch durch i.v-Aufdosierung von Phenytoin zu beeinflussen. Eine leichte Zustandsbesserung stellte sich erst durch Applikation von Levetiracetam (Keppra®) in einer Dosierung von 1500-2000 mg/Tag ein.
Die Applikation antipsychotischer Medikation in Form von Haloperidol (5-15 mg/Tag) , Risperidon (1-2 mg/Tag) und Clozapin (Leponex®) bis 150 mg/Tag führte nicht zu einer Besserung der oben charakterisierten Zustände. Erst die Applikation von Quetiapin (Seroquel®) in einer Dosierung von 150-0-150 mg/Tag führte allmählich zu einer Besserung und Normalisierung der Situation, so dass die Patientin wacher wurde und auf Aufforderung adäquat reagierte. Gleichzeitig konnte beobachtet werden, dass die Phasen katatoner stuporöser Zustände sistierten und keine Halluzinationen mehr auftraten.
Zusammenfassung:
Es handelt sich um eine lang anhaltende postiktale Psychose mit sehr verschiedener Phänomenologie. Uncharakteristisch ist, dass die Psychose offensichtlich durch einen einzelnen initialen Anfall ausgelöst wurde und es sich insgesamt erst um den zweiten bekannten Anfall handelte. Auf genaues Befragen war ein Normalisierungsintervall mit Abklingen der postiktalen Umdämmernung von wenigen Stunden nach Beendigung des Anfalls und vor Beginn der Psychose zu erfragen. Nicht alltäglich sind die häufig wechselnden Zustandsbilder, die zwischen kataton stuporös einerseits und produktiv halluzinatorisch andererseits schwankten und zudem intermittierend das Bild eines Non konvulsiven Status mit Eintrüben, Verharren und Teilnahmslosigkeit boten. Atypisch ist auch, dass schlechte Ansprechen auf die initial verordnete Benzodiazepin-Medikation wie auch auf die initial verwendete antipsychotische Medikation.
Nach Schmitz et al 1999 sind im Zusammenhang mit Epilepsie auftretende Psychosen bei 60-70% der Patienten postiktal anzutreffen. Häufig kommt es jedoch zunächst zu einer Anfallsserie, die dann eine Psychose initiiert. Häufig liegt eine Temporallappen-Epilepsie zugrunde, wie auch in unserem Fall zunächst nur rechts temporal epilepsietypische Potentiale nachgewiesen werden konnten.
Offensichtlich ist es hier zu einer Überlagerung zwischen einer postiktalen und einer anschließenden interiktalen Psychose gekommen. Während Halluzinationen und Verfolgungswahn (die Patientin versteckte sich im Schrank) eher zu einer interiktalen Psychose passen, sprechen die Intelligenzminderung, die komplex-fokalen Anfälle, der vorbestehende Hirnschaden und der temporale Herd eher für das Auftreten einer postiktalen Psychose.
Ob die Kombination von Levetiracetam und Quetiapin letztlich entscheidend die Besserung herbeiführte oder ob es sich um eine spontane Besserung nach 6-8-wöchigem Verlauf handelt, kann hier nur spekuliert werden.
Neben der hier vermuteten postiktalen und interiktalen Psychose sind noch die iktale Psychose, bei der die Psychose aus dem Anfall heraus entsteht und die Alternative Psychose bei der entweder eine Psychose oder eine Epilepsie besteht, bekannt. Kriterien für eine Unterscheidung gibt die nachfolgende Tabelle von Frau Prof. Dr. B.- Schmitz.
|
Iktale Psychose |
Postiktale Psychose |
Pariktale Psychose |
Alternative Psychose |
Interiktale Psychose |
Relative Häufigkeit |
~10% |
~50% |
~10% |
~10% |
~20% |
Bewusstsein |
Konstant oder intermittierend beeinträchtigt |
Fakultativ beeinträchtigt |
Beeinträchtigt |
Normal |
Normal |
Besonderheiten |
Milde motorische Anfallssymptome |
Psychopathologisch unauffälliges (luzides) Intervall |
häufig während des prächirurgischen Monítorings |
Verzögerte Entwicklung mit initialen Schlafstörungen |
Schizophrenie-ähnliche Psychopathologie |
Dauer |
Stunden bis Tage |
Tage bis Wochen |
Tage bis Wochen |
Wochen |
Monate |
EEG |
Status epilepticus |
Verlangsamt, vermehrt epilepsietypische Muster |
Verlangsamt, vermehrt epilepsietypische Muster |
Normalisiert |
Unverändert |
Therapie |
Antiepileptika i.v. |
Benzodiazepine, kurzfristig Neuroleptika |
Anfallskontrolle |
Schlafregulation, Reduktion von Antiepileptika, Neuroleptika |
Mittel- bis langfristig Neuroleptika |
Literatur:
Kanemoto K. Postictal psychoses, revisited. In: Trimble MR, Schmitz B. The Neuropsychiatry of epilepsy. Cambridge University Press 2002, 117-131
Logsdail SJ, Toone BK, Postictal psychoses. A clinical and phenomenological description. Br J Psychiat 1988; 152:246-252.
Trimble MR, Schmitz B, The psychoses of epilepsy / schizophrenia, In: Engel J, Pedley TA, eds, Epilepsy. A Comprehensive Textbook, (Lippincott - Raven: Philadelphia, New York, 1997) 2071-82.