Interessante Fälle
Prof. Dr. Jürgen Sperner, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
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Anamnese:
Bei Vanessa W. kam es im 5. Lebensjahr zur Erstmanifestation von einfachen und komplexen Absencen. Die Eltern des Kindes bemerkten ein auffälliges Augenblinzeln nur bei Müdigkeit, welches vereinzelt auch schon Jahre früher zu beobachten gewesen sei. Die komplexen Absencen waren durch Kopfnicken erkennbar. Das Mädchen besuchte trotz der Persistenz von bis zu 30-70 Absencen täglich das Gymnasium und zeigte gute Schulleistungen. Die eigene Vorgeschichte war incl. der Schwangerschaft, der Geburt und der frühkindlichen Entwicklung normal.
In der Familienanamnese waren beim Vater diskrete Absencen seit der Jugend, welche nur bei Müdigkeit auftraten zu eruieren. Die Mutter war gesund ebenso ein Bruder und es fanden sich keine weiteren Anfallserkrankungen in der Familie.
Verlauf:
Trotz mehrerer monotherapeutischer und in Kombination von verschiedenen Antikonvulsiva durchgeführter Behandlungsversuche erwies sich die Absence-Epilepsie als pharmakoresistent. Das Mädchen wurde auf die folgenden Antikonvulsiva eingestellt:
Im Jahre 2001: Ethosuximid-Monotherapie bis 38 mg/kg Körpergewicht und Valproat-Monotherapie bis 26 mg/kg Körpergewicht.
Im Jahre 2002: Ethosuximid bis 45 mg/Kg Körpergewicht und Valproat bis 30 mg/kg Körpergewicht in Kombination. Später eine Kombination aus Valproinsäure plus Ethosuximid plus Lamotrigin, danach Lamotrigin-Monotherapie.
Im Jahre 2003: Ethosuximid bis 50 mg/kg Körpergewicht und später Valproinsäure plus Ethosuximid-Kombinationstherapie sowie Sultiam-Monotherapie
Im Jahre 2004: Ethosuximid bis 70 mg/kg Körpergewicht sowie Topiramat, Levetiracetam
Am 23.6.2004 erfolgte die Implantation eines N. vagus-Stimulators.
Ein relevanter Therapieerfolg im Vergleich zur Ausgangssituation war nicht zu erkennen. Der Versuch den N. vagus-Stimulator zu deaktivieren führte jedoch mehrfach zu einer Verschlechterung der Anfallssituation.
Im Jahre 2005: Ethosuximid bis 60 mg/kg Körpergewicht sowie Methylprednisolon-Hochdosistherapie in 3 Zyklen und Mesuximid, des Weiteren Pregabalin und Lamotrigin bis 10 mg/kg Körpergewicht.
Im Januar 2006 wurde mit einer ketogenen Diät mit einem Verhältnis von Fett zu Kohlenhydrate von 3:1 und kurzzeitig 4:1 begonnen. Das Mädchen war auch bedingt durch den Einfluss einer fieberhaften Gastroenteritis rasch Keton positiv. Die maximale OH-Butyrat-Konzentration betrug 4,1 mg/dl. Unter dieser Therapie kam es zu einer drastischen Reduzierung der Absencen bis auf 2-3/Tag. Die ketogene Diät war jedoch schon nach wenigen Wochen im Alltag nicht durchführbar und wurde wieder beendet.
Kommentar:
Es handelt sich um den seltenen Fall einer ausgesprochen therapieresistenten reinen Absence-Epilepsie. Obgleich eine symptomatische Ursache ausgeschlossen werden konnte, fand sich im SPECT ein diskreter frontaler Herdhinweis. Neben typischen 3-4/Sekunde spike-wave-Potentialen (Abbildung 1) von 3-4 Sekunden Dauer und mit bifrontaler Betonung fanden sich vereinzelt auch links frontal betonte epilepsietypische Potentiale (Abbildung 2). Bei einer EEG-Aufzeichnung mit Gleichstromverstärker konnte eine präiktale Negativierung der langsamen kortikalen Potentiale über F3 ca. 30 Sekunden vor Beginn einer Absence dokumentiert werden. In der Zusammenschau könnten diese Befunde als links frontaler Herdhinweis gedeutet werden und helfen die ausgeprägte Pharmakoresistenz bei dieser Epilepsie zu erklären.
Literatur:
Panayiotopoulos C. Treatment of tyoical absence seizures and related epileptic syndromes. Paediatr Drugs 2001; 3(5): 379-403
Bilder: