Interessante Fälle
Prof. Dr. Jürgen Sperner, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein Campus Lübeck, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
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Anamnese:
Bei einem 17 Monate alten, bisher immer gesunden Knaben, kam es unter 39,3 Grad Fieber aufgrund eines Infektes der oberen Luftwege und Otitis media abends zu einem tonisch-klonischen Krampfanfall aus dem Schlaf heraus. Der Notarzt fand das Kind ca. 30 Minuten später immer noch krampfend. Die Applikation von 10 mg Diazepam rektal führte zu einem raschen Sistieren der Krampfaktivität. Bei der Aufnahme in die Klinik am gleichen Abend kam es zu wiederholt länger anhaltenden Zuckungen im linken Arm und Bein, zu einem links gerichteten Nystagmus und zu einer Pupillendifferenz rechts > links. Im Befund fand sich eine Hemiparese links. Am nächsten Morgen war Erbrechen auffällig.
Diagnostik: Das CRP war im Verlauf von zunächst 5 auf dann 13 und zuletzt 4 mg/dl erhöht. Das Blutbild war unauffällig. Auch die Urinanalyse und die Analyse des Liquor cerebro-spinalis waren unauffällig. Die Anisokurie bildete sich rasch zurück.
Das 20 Stunden nach dem komplizierten Fieberkrampf durchgeführte Kernspintomogramm des Kopfes zeigte eine Oedembildung in der rechten Hippokampusregion, die auch im diffusionsgewichteten MRT auffällig war (Abbildung 1 und 2).
Im 2 Tage nach dem Fieberkrampf durchgeführten EEG fand sich eine Delta-Subdelta-Aktivität über der rechten Hemisphäre mit temporaler Betonung.
Verlauf:
Im 5 Monate nach dem komplizierten Fieberkrampf durchgeführten Kernspintomogramm des Kopfes fand sich eine deutliche Atrophie des rechten Hippokampus mit Ausweitung des rechtsseitigen Unterhornes, das weitere 2 Monate später durchgeführte FDG-PET zeigte eine deutliche Glucoseminderutilisation in der rechten Temporallappenregion mit mediobasaler Betonung.
Kommentar:
Im vorliegenden Fall konnte der protrahiert verlaufende Fieberkrampf durch Benzodiazepinapplikation beendet werden. Es kam zu einer kompletten Rückbildung der Hemiparese am nächsten Morgen und zu einer Rückbildung der Anisokurie. Das Kind hatte weiter Fieber in den nächsten Tagen, bei Entlassung am 6. stationären Tag war es jedoch völlig unbeeinträchtigt. Auch die nachfolgende Entwicklung war während der nächsten 1,5 Jahre (Beobachtungszeit) vollkommen unauffällig. Das EEG normalisierte sich nach ca. 7 Monaten.
Trotz dieser günstigen Entwicklung konnte mittels kernspintomographischer Kontrolle die Entwicklung einer ausgeprägten hippokampalen Atrophie nach Oedembildung und Diffusionsauffälligkeiten in der Akutphase in dieser Region dokumentiert werden. Passend hierzu zeigte sich eine Glucoseminderutilisation in der rechten Temporalregion mit mediobasaler Betonung. Bei aktuell unauffälligem klinischem Verlauf kann lediglich spekuliert werden, ob dieser dokumentierte hirnorganische Schaden zukünftig zur Entwicklung einer Temporallappen-Epilepsie führen wird. Bekanntermaßen gibt es eine Assoziation zwischen kompliziert verlaufenden Fieberkrämpfen und der Entwicklung einer Temporallappen-Epilepsie mit komplex-fokalen Anfällen nach einer silenten Phase von meistens mehreren Jahren. Bemerkenswert ist ferner, dass es trotz der relativ rasch erfolgten Therapie zur hirnorganischen Schädigung kam. Möglicherweise ist es bedingt durch ein fokal-entzündliches Geschehen zu einem fokalen Status epilepticus im Sinne eines limbischen Status im rechten Hippokampus und den angrenzenden Regionen gekommen. Dieser muss nicht notwendigerweise durch fortgesetzte klinische Anfallsaktivität oder epilepsietypische Aktivität im Oberflächen-EEG erkennbar sein. Die Dignität dieser Beobachtung im Hinblick auf die Entwicklung einer Temporallappenepilepsie erscheint jedoch nicht eindeutig (1,2).
Literatur:
1. Bernasconi N, Natsume J, Bernasconi A. Progression in temporal lobe epilepsy: differential atrophy in mesial temporal structures.
Neurology 2005, 26,65:223-8
2. Major P, Decarie JC, Nadeau A, et al. Clinical significance of isolated hippocampal volume asymmetry in childhood epilepsy. Neurology 2004 Oct 26;63(8):1503-6
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