Interessante Fälle

Autor: Dr. Heinrich Braeuer, Hamburg

Anamnese

Die 1926 geborene Patientin leidet seit 1950 unter fokalen epileptischen Anfällen.
Die Erstmanifestation der Epilepsie erfolgte im zeitlichen Zusammenhang mit einem Schädel- Hirn-Trauma (Treppensturz). Trotz medikamentöser Behandlung war die Frau nie dauerhaft anfallsfrei. Sie erlitt generalisierte tonisch-klonische Anfälle (GTCS) aus dem Schlaf, sowie komplex-fokale Anfälle aus dem Schlaf („Schlafwandeln“) und aus dem Wachen.

Bisheriger Verlauf

Nach jahrzehntelanger medikamentöser Therapie mit verschiedenen Antikonvulsiva nahm sie zuletzt Valproinsäure in Monotherapie, wodurch keine GTCS mehr auftraten, sich dafür jedoch kleinere komplex-fokale Anfälle im Wachzustand häuften und sich ein Kopf- und Haltetremor einstellten.

Erstvorstellung

Bei der körperlichen Untersuchung im April 2005 fanden ich ein Kopf- und Haltetremor, geringe rechtsseitige Herdzeichen im Reflexbefund, Hinweise auf eine beginnende Polyneuropathie sowie prätibiale Ödeme. Zu diesem Zeitpunkt war die Patientin nicht frei von komplex-fokalen Anfällen aus dem Wachzustand, die jeweils von einer kurzen Aura („ Entrückungsgefühl“) eingeleitet wurden. Dann zeigte sich Arrestreaktionen, war nicht ansprechbar, hatte einen starren Blick, machte stereotype Redeäußerungen und war erst nach 15 bis 30 Minuten wieder klar ansprechbar.

Diagnostik

Das 2002 vorgenommene MRT war angeblich unauffällig.
Im EEG ließen sich epileptogene scharfe Wellen rechts frontal - temporal nachweisen.

Diagnose

Bei der Patientin bestand der Verdacht auf eine symptomatische Frontallappen-Epilepsie rechts mit einfach- und komplex-fokalen Anfällen, sowie mit sekundär generalisierten Grand Maux - möglicherweise bei Zustand nach einer minimalen kryptogenen perinatalen Komplikation.

Therapie und Verlauf

Im April 2005 wurde bei der Patientin einschleichen mit einer Pregabalin - Add-on -Therapie (bis 225 mg/d) begonnen, worauf die Anfallshäufigkeit schnell zurückging. Die initial während der Aufdosierung mit Pregabalin leicht vermehrte Tagesmüdigkeit ließ sich durch eine vorsichtige Reduktion der Valproinsäure (600mg/d) schnell beseitigen. Der Ruhe-/Haltetremor nahm deutlich ab und auch die Ödemneigung an den Beinen zeigte sich remittent. Unter weiterer Erhöhung der Pregabalin- Dosis auf 2x150 mg/d bei weiterer vorsichtiger Reduktion des Valproats (300mg/d) konnte eine Anfallsfreiheit erreicht werden - bei insgesamt deutlich gebessertem Allgemeinzustand.

Behandlungsergebnis

Seit Juni 2005 ist die Patientin erstmalig seit Erkrankungsbeginn vor über 50 Jahren komplett anfallsfrei. Auch die Nebenwirkungen(Tremor), die sich unter Valproat-Monotherapie einstellten, sind nicht mehr vorhanden. Darüber hinaus hat sich der Allgemeinzustand der Patientin insgesamt deutlich gebessert.

Zusammenfassung

Die heute 79-jährige Patientin leidet seit einem Schädel- Hirn-Trauma vor 55 Jahren unter fokalen epileptischen Anfällen- ohne und mit Generalisation. Trotz vielfältiger medikamentöser Behandlungen - zuletzt mit Valproinsäure - Monotherapie war die Frau zu keiner Zeit dauerhaft anfallsfrei. Durch Add-on -Therapie mit Pregabalin wurde die Patientin erstmalig nach über 50 Jahren anfallsfrei (bereits seit über vier Monaten) und ist frei von medikamenten - induzierten Nebenwirkungen.

 

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