Das Wichtigste über Carbamazepin
Zusammenfassung:
Carbamazepin ist eines der weltweit am häufigsten verwendeten Medikamente gegen Epilepsie und ein Mittel der ersten Wahl bei allen Epilepsien fokalen Ursprungs, das heißt Herdepilepsien.
Es führt bei Neueinstellungen bei richtigem Einsatz in ca. 40-60% zu dauerhafter Anfallsfreiheit.
Sekundär generalisierte tonisch-klonische (Grand mal) Anfälle lassen sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 50-60% auf Anfallsfreiheit im Mittel besser behandeln als komplex-partielle Anfälle (35-50% Anfallsfreiheit). Die Wirksamkeit bei primär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (primären Grand-mal-Anfällen) ist geringer.
Absencen und Myoklonien können sogar verstärkt werden, hier sollte Carbamazepin nicht gegeben werden.
Carbamazepin ist allgemein gut verträglich. Im hohen Dosisbereich können Überdosierungserscheinungen auftreten, gelegentlich entwickeln Patienten allergische Reaktionen.
Carbamazepin kann die Wirksamkeit anderer Medikamente abschwächen. Insbesondere muss bedacht werden, dass die Wirkung der Antibabypille durch Carbamazepin abgeschwächt oder aufgehoben werden kann, so dass andere Verhütungsmethoden zusätzlich oder stattdessen Anwendung finden müssen. Auch die Wirkung anderer Medikamente kann abgeschwächt sein, diese sind im Text unten aufgelistet.
Carbamazepin gibt es in einer Retardform, das heißt, dass das Medikament verzögert in den Darm abgegeben und in das Blut aufgenommen wird und die Spiegel daher gleichmäßiger sind. Dies verringert Nebenwirkungen und ist daher zu empfehlen.
In der Schwangerschaft kann Carbamazepin zu einer erhöhten Rate an Fehlbildungen führen, so dass vor einer Schwangerschaft eine Beratung unbedingt stattfinden muss, bei der über eine mögliche medikamentöse Umstellung oder Dosisänderung gesprochen wird.
Unter welchem Namen ist Carbamazepin im Handel erhältlich?
Carbamazepin ist als Tegretal®, Timonil® und unter verschiedenen anderen Namen von Nachahmerfirmen in Deutschland erhältlich. Es liegt auch in retardierter Form vor; diese wird häufig aufgrund einer besseren Verträglichkeit vorgezogen.
Wie wirkt Carbamazepin?
Carbamazepin ist ein Medikament, das hauptsächlich die Erregungsleitung in Nervenzellen hemmt. Es wirkt über die Blockade spannungsabhängiger Natrium- und Kaliumkanäle der Zellmembran. Es handelt sich dabei um winzige Eiweißkanäle, die in der Zellmembranen von Nervenzellen Poren bilden und damit deren Innen- mit der Außenseite verbinden. Der Strom von Natrium- und Kaliumsalzen von außen in die Nervenzelle hinein ist ein Vorgang, der für die Weiterleitung von elektrischen Impulsen wichtig ist. Die Blockade dieser Kanäle verhindert daher die Ausbreitung von rasch aufeinanderfolgenden Erregungen und hindert dadurch epileptische Aktivität an der Entstehung bzw. Ausbreitung.
Welche Anfälle/Epilepsieformen lassen sich mit Carbamazepin behandeln?
Carbamazepin ist das klassische Medikament in der Behandlung fokaler Anfallsformen, also bei herdförmigen Epilepsien. Einfach-fokale, komplex-fokale und sekundär generalisierte Anfälle (Grand mal) sind gleichermaßen durch Carbamazepin wirksam behandelbar.
Für wen ist Carbamazepin zugelassen?
Carbamazepin ist zugelassen für Patienten mit fokalen und sekundär generalisierten Anfällen sowie bei gemischten Epilepsien. Eine Altersbegrenzung gibt es nicht, jedoch sollten Kinder unter 6 Jahren keine 400 mg- und 600 mg Retardtabletten erhalten.
Wer darf nicht mit Carbamazepin behandelt werden?
Carbamazepin kann Anfälle bei Patienten mit idiopathisch-generalisierter Epilepsie ver-schlechtern. Hierunter fallen verschiedene Syndrome, die hauptsächlich durch primär generalisierte große Anfälle, Myoklonien und Absencen gekennzeichnet sind. Auch die juvenile (jugendliche) myoklonische Epilepsie fällt hierunter.
Diese Patienten sollten nicht auf Carbamazepin eingestellt werden. Hier ist eine genaue Unterscheidung von z.B. Absencen und kompelx-fokalen Anfällen erforderlich, da diese ähnlich ablaufen können, und nur bei den komplex-fokalen Anfällen Carbamazepin gegeben werden darf, während es bei Absencen die Anfallsituation verschlechtern kann.
Ebenso darf Carbamazepin nicht gegeben werden bei bekannter Überempfindlichkeit gegen trizyklische Antidepressiva, Knochenmarksschädigung, AV-Block des Herzens (Reizleitungsblock) und einer akuten intermittierenden Porphyrie, einer seltenen Leberstoffwechselerkrankung.
Wie gut wirkt Carbamazepin?
Carbamazepin ist eines der Standardmedikamente in der Behandlung fokaler Epilepsien (Herdepilepsien). In ausreichender Dosierung werden 40-60% der Patienten in einer ersten Monotherapie (Behandlung mit einem Medikament) anfallsfrei, bei sekundär generalisierten großen Anfällen sind es ca. 50-60%.
Carbamazepin hat insgesamt weniger Langzeitnebenwirkungen als Phenytoin, die beide das gleiche Einsatzgebiet haben, und wird von daher bei gleichem Wirkmechanismus und etwa gleicher Wirksamkeit in Deutschland bevorzugt. Eine Besonderheit ist die epileptische Notfallsituation, das heißt z.B. ein Status epilepticus oder eine Anfallsserie. Da Carbamazepin nicht i.v. gegeben werden kann, ist es im Status epilepticus (im Gegensatz zu Valproinsäure, Phenytoin, Benzodiazepinen und Barbituraten) nicht anwendbar.
Was sind die wichtigsten Nebenwirkungen von Carbamazepin?
Carbamazepin ist allgemein und besonders in niedriger Dosis recht gut verträglich. Das relativ häufige allergische Exanthem (Hautausschlag) lässt sich durch langsames Eindosieren des Medikaments in seiner Häufigkeit vermindern. Eine Zahl der weißen Blutkörperchen unter 2500 Zellen/mm³ ist relativ häufig zu beobachten. Dies hört sich zunächst bedrohlicher an als es ist. In der Regel ist es keine Gefährdung für den Patienten, so lange keine Immunerkrankung vorliegt. Carbama-zepin sollte daher erst bei einem Abfall der weißen Blutkörperchen unter 2000/mm³ abgesetzt werden. Eine Erniedrigung des Blutsalzes Natrium ist erst ab Werten <125 mmol/l bedeutsam. Häufig finden sich allergische Hautausschläge, Müdigkeit, Schläfrigkeit (hohe Dosis), Mangel an weißen Blutkörperchen oder Blutplättchen, Stimmungsschwankungen bis hin zur Depression, Natriummangel im Blut, Sehstörungen, Zittrigkeit, Schwindel und Akne. Seltener treten Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Haarausfall und ein Mangel an Immunglobulinen, das heißt Infektionen verhindernder Eiweiße im Blut, auf. Selten sind schwere allergische Hautreaktionen bis hin zur Hautablösung, Autoimmunerkrankungen (Erkrankungen, bei denen das Immunsystem den eigenen Körper angreift, z.B. mit rheuma-ähnlichen Beschwerden), Herzrhythmusstörungen und Lymphknotenschwellungen.
Beim Auftreten von Symptomen einer Leberentzündung wie Schlappheit, Appetit-losigkeit, Übelkeit, Gelbfärbung der Haut, Vergrößerung der Leber muss umgehend ein Arzt aufgesucht werden.
Beim Auftreten von Leukozytopenien (Mangel an weißen Blutkörperchen, zumeist Neutropenien), Thrombozytopenien (Mangel an Blutplättchen) und in Verbindung mit allergischen Exanthemen (Ausschlägen) und Fieber muss Carbamazepin abgesetzt werden, daher müssen Sie auch in diesem Fall unbedingt den Arzt aufsuchen.
Bei langfristiger Behandlung mit Carbamazepin kann die Mineralsubstanz des Knochens abgebaut werden, der Knochen wird weicher und es kann z.B. bei Stürzen schneller zu Knochenbrüchen kommen. Dies ist ein in letzter Zeit erkanntes Problem.
Wie wird Carbamazepin bei der Erstbehandlung aufdosiert?
Carbamazepin ist eins der Medikament, für die das Prinzip "low and slow", also niedrig und langsam zu dosieren, weiterhin gilt. Eine zu rasche Aufdosierung führt zu Nebenwirkungen. Daher wird folgendes Schema empfohlen:
Erwachsene erhalten zu Beginn 2x 200 mg Carbamazepin retard pro Tag, eine Erhöhung um 200 mg findet jeden 2. bis 3. Tag statt.Kinder beginnen mit 5 mg pro kg am Tag, mit einer Erhöhung um ca. 5 mg/kg alle 3-5 Tage.
Es gibt retardiertes Carbamazepin, was bedeutet, dass es im Magen-Darm-Trakt nicht sofort aufgelöst und ins Blut aufgenommen wird, sondern langsam abgegeben wird.
Retardpräparate sollten wegen der Möglichkeit einer zweimaligen täglichen Gabe und der geringer ausgeprägten Anschwemmung im Blut nach der Einnahme mit nachfolgenden Spitzen-spiegeln bevorzugt werden.
Welche Tagesdosen sind sinnvoll?
Wie bei den meisten Medikamenten gegen Epilepsie, wird auch bei Carbamazepin zunächst auf mittlere Dosisbereiche aufdosiert. Insgesamt können Tagesdosen zwischen 400 und 1600 mg bei Erwachsenen gegeben werden. Bei Kindern 10-20 mg/kg Körpergewicht.
Im Einzelfall muss diese generelle Richtlinie nach Wirkung und Nebenwirkung abgewandelt werden. Prinzipiell werden alle Anti-Epilepsie-Medikamente bis zur Anfallsfreiheit aufdosiert oder bis zu einer Dosis, bei der Nebenwirkungen auftreten. Wenn dies passiert, wird die Dosis auf das zuletzt vertragene Niveau reduziert. Wenn dann noch weitere Anfälle auftreten, ist eine vollständige Wirksamkeit des Medikaments nicht gegeben, so dass ein anderes Medikament stattdessen oder zusätzlich gegeben werden kann oder muss.
Gibt es Wechselwirkungen oder Unverträglichkeiten mit anderen Medikamenten (hauptsächlich anderen Medikamenten gegen Epilepsie)?
Carbamazepin ist ein hepatischer Enzyminduktor. Dies bedeutet, dass durch Carbamazepin der Abbau verschiedener anderer Medikamente in der Leber beschleunigt wird. Dort werden Körpereiweiße, die am Abbau verschiedender Substanzen (unter anderem Medikamente) beteiligt sind, angeregt und dadurch die Verweildauer der Substanzen im Körper gesenkt. Daher wird die Serumkonzentrationen anderer Anti-Epilepsie-Medikamente wie Lamotrigin, Phenobarbital, Phenytoin, Tiagabin und Valproat gesenkt. Auch andere wichtige Medikamente wie z. B. orale Antikoagulantien (Gerinnungshemmer wie Marcumar), Steroid-Hormone, Isoniazid, Verapamil, Diltiazem, Haloperidol und Theophyllin können verstärkt abgebaut und deren Konzentration im Blut herabgesetzt werden. Dies führt u.U. dazu, dass bei den beiden genannten Medikamenten kein wirksamer Mediakmentenspiegel mehr besteht.
Durch Erythromycin und Cimetidin wird der Carbamazepinserumspiegel seinerseits erhöht. Besonderes wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Carbamazepin die Wirkung der Antibabypille aufheben kann und eine sichere Verhütung nicht mehr gewährleistet ist, so dass nur noch gewisse Antibabypillen wirksam sind und andere Verhütungsmethoden stattdessen oder zusätzlich ergriffen werden müssen. Siehe hierzu das Ratgeberkapitel Epilepsie und Sexualität.
Ist es sinnvoll, die Blutspiegel zu kontrollieren?
Das kann tatsächlich manchmal sinnvoll sein. In der Aufdosierungsphase kann überprüft werden, welche Blutspiegel mit einer bestimmten Dosis erreicht werden. Treten Nebenwirkungen ein, kann man abschätzen, bis zu welcher Dosis bzw. bis zu welchem Spiegel das Medikament ohne Probleme vertragen wurde. Dies ist auch dann wichtig, wenn es darum geht, ein Medikament als unwirksam zu betrachten und ggf. auf ein anderes umzustellen. Weiterhin machen Spiegelkontrollen dann Sinn, wenn der Arzt überprüfen will, ob der Patient das Medikament auch regelmäßig nimmt, denn es gibt einige Patienten, die hier "schludern" und bei denen ein Medikament durchaus wirksam wäre, wenn es regelmäßig genommen würde. Hier darf dann nicht das Medikament angeschuldigt werden, nicht wirksam zu sein.
Auch zur Überprüfung der Wechselwirkung mit anderen Medikamenten ist eine Spiegelbestimmung sinnvoll.
Die üblichen Spiegel, die mit Carbamazepin erreicht werden, liegen zwischen 4 und 12 mg/l.
Gibt es in der Schwangerschaft etwas zu beachten?
Schwangerschaften bei Epilepsie-Patientinnen sind generell Risikoschwangerschaften, da das Kind durch Anfälle und auch durch gewisse Medikamente gefährdet sein kann.
Carbamazepin ist ein Medikament, das in der Schwangerschaft nicht generell empfohlen wird, aber auch nicht generell verboten ist.
In der Tendenz führt es etwas häufiger zu Missbildungen des Kindes als es bei Müttern ohne Medikament zu erwarten ist. Es sollte versucht werden, die Dosis so gering wie möglich zu halten, ohne dass Anfälle auftreten. Zudem sollten unbedingt Retardpräparate genommen werden, die durch verzögerte Freisetzung des Wirkstoffs zu gleichmäßigeren Spiegeln im Blut führen. Auch die Verteilung auf 3 statt 2 Einnahmen am Tag ist sinnvoll, wenn kein Retardpräparat eingenommen wird. Umstritten ist, ob einen Nutzen hat. Da Folsäure theoretisch Fehlbildungen des Kindes verhindern kann, empfehlen wir unseren Patientinnen eine zusätzliche Einnahme von Folsäure (2,5-5 mg/Tag) schon bei Kinderwunsch.
Vermieden werden sollte in jedem Fall - wenn dies möglich ist - die Einnahme von mehreren Medikamenten gegen Epilepsie gleichzeitig; insbesondere Kombinationen mit Valproinsäure sind hier zu nennen.
Muss man sonst noch etwas beachten?
Carbamazepin kann das Reaktionsvermögen herabsetzen. Daher muss beim Führen eines Fahrzeuges (soweit dies im Hinblick auf die Anfälle überhaupt erlaubt ist!) oder der Bedienung von Maschinen bedacht werden, dass es zu Gefahrensituationen kommen kann und entsprechend vorsichtig gehandelt werden bzw. die Tätigkeit kann bei entsprechender Nebenwirkung nicht ausgeübt werden.
Hinweis:
Die Medizin als Wissenschaft und somit auch die Epileptologie sind durch dauernden Zugewinn an Forschungsergebnissen einem ständigen Wandel unterworfen. Die genannten Daten gelten daher nur zum Zeitpunkt der Herausgabe dieser Patienteninformation. In unregelmäßigen Abständen oder dann, wenn sich Wesentliches ändert, wird diese Patienteninformation überarbeitet und als neue Version zur Verfügung gestellt. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir daher nur die jeweils aktuelle Version empfehlen können. Jegliche Haftung für die hier veröffentlichten Informationen wird abgelehnt.
Die hier dargelegten Informationen wurden nach bestem Wissen recherchiert. Trotzdem kann es zu Fehlern kommen, die sich z.B. aus Schreib- oder Übertragungsfehlern ergeben. Daher wird jeder Benutzer aufgefordert, sich im Zweifel andere Literatur zusätzlich zu besorgen und Angaben zu überprüfen.
Fachinformationen für Ärzte finden sich unter anderem unter:
Zusätzliche Informationen bietet Patienten die Packungsbeilage des Medikaments. Zudem können Sie Ihren behandelnden Arzt oder den Apotheker fragen.
Herausgeber: Prof. Dr. A. Hufnagel