Das Wichtigste über Benzodiazepine (Clobazam, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam und Midazolam)
Erstellt von Prof. Dr. A. Hufnagel
Kontakt: Neurologische Privatpraxis, Blumenstraße 11-15, D-40212 Düsseldorf, Telefon: 0211-87638480
Zusammenfassung:
Es gibt verschiedene Substanzen aus der Gruppe der Benzodiazepine, die zusammen besprochen werden können, weil der Wirkmechanismus sehr ähnlich ist und die Wirksamkeit und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ebenfalls vergleichbar sind.
Wichtige Substanzen aus dieser Gruppe im Zusammenhang mit der Behandlung der Epilepsie sind Clobazam, Clonazepam, Diazepam, Lorazepam und Midazolam.
Benzodiazepine sind sehr gut gegen Epilepsie wirksame Medikamente, die aber nur über einen kurzen Zeitraum von ca. 3 Monaten gegeben werden sollen, da es sonst zu Gewöhnungseffekten kommt. Bei einer Langzeitbehandlung kann es zum Zeitpunkt der Beendigung der Behandlung zur Entzugssymptomatik kommen. Diese besteht u.a. aus Schlafstörungen, Ängsten, Verstärkung der Anfallsaktivität, psychischen Veränderungen, Nervosität, Panikstörungen, Depression.
Benzodiazepine sind Notfallmedikamente der ersten Wahl bei Epilepsie Notfällen, z.B. im Status epilepticus und bei Anfallsserien können sie in die Vene gespritzt werden oder als Rektiole oder in die Mundhöhle gegeben werden und sind schnell wirksam.
Benzodiazepine können in höheren Dosierungen Nebenwirkungen verursachen, vor allem Müdigkeit, Konzentrations- und Denkstörungen, nach längerer Anwendung auch Wesensveränderungen.
Benzodiazepine dürfen nur für eine begrenzte Zeit gegeben werden, da sie abhängig machen können. Daher dürfen sie auch an Patienten, bei denen eine Sucht vorliegt oder vorgelegen hat nicht gegeben werden.
In der Schwangerschaft sollten Benzodiazepine nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung gegeben werden.
Ein besonderer Aspekt ist, dass es Benzodiazepine gibt (Tavor expidet ®, Buccolam), die nicht geschluckt werden muss, sondern unter die Zunge gelegt oder aus einer Einmal-Spritze in die Mundhöhle gespritzt werden und von dort aufgenommen wird, so dass Patienten es bei Bedarf sehr einfach einnehmen können oder eine Begleitperson das Medikament verabreichen kann. Ähnliches gilt für Zäpfchen, die sehr schnell in das Blut aufgenommen werden. Midazolam (Buccolam) ist nunmehr in einer Form erhältlich, die z.B. im Notfall in den Mund gespritzt werden kann.
Unter welchem Namen sind Benzodiazepine im Handel erhältlich?
Es gibt mehrere Benzodiazepine, die unter verschiedenen Handelsnamen erhältlich sind. Dies sind vor allem Diazepam (Valium®), Clonazepam (Rivotril®), Lorazepam (Tavor®), Midazolam (Buccolam, Dormicum®) und Clobazam (Frisium®).
Wie wirken Benzodiazepine?
Benzodiazepine sind Medikamente, die Nervenzellen an der Ausbildung von Erregungen hindern. Verschiedene Salze bzw. ihre Anteile (Ionen) sind an der Erregungsausbreitung bzw. -hemmung im Gehirn beteiligt. Hierbei wirken Natrium und Kalium, Kalzium und Chlorid bei der Erregungsausbreitung mit. Zusätzlich ist ein Überträgerstoff, die Gamma-Amino-Buttersäure (GABA,) beteiligt. Dieser Stoff wird in einen Spalt zwischen den Nervenzellen ausgeschüttet und führt an der benachbarten Zelle dazu, dass mehr Chlorid in die Zelle einströmt und sie damit weniger erregbar wird. Benzodiazepine verstärken den Einstrom von Chlorid in die Nervenzellen.
Welche Anfälle/Epilepsieformen lassen sich mit Benzodiazepinen behandeln?
Benzodiazepine sind bei der Behandlung aller Anfallsformen, also bei generalisierten (z.B. Grand mal) Epilepsien, und bei herdförmigen Epilepsien sehr wirksam. Einfach-fokale, komplex-fokale und sekundär generalisierte Anfälle (Grand mal) sind gleichermaßen durch Benzodiazepine sehr gut behandelbar.
Hierbei werden sie besonders in der Notfallsituation des Status epilepticus oder einer Anfallsserie eingesetzt, weil sie schnell wirken, als Injektion oder Infusion in die Vene oder in Ausnahmefällen in den Muskel gegeben werden können und zudem eine sehr hohe Wirkstärke besitzen.
Für wen sind Benzodiazepine zugelassen?
Benzodiazepine sind für Patienten mit generalisierten (z.B. Grand mal), fokalen und sekundär generalisierten Anfällen im Status epilepticus zugelassen. Je nach Medikament gibt es unterschiedliche Zulassungen. So sind Valium®, Tavor® und Dormicum® nur als Infusion oder Injektion im Notfall zugelassen, während Frisium® auch in Tabletten für eine Zusatzbehandlung vorliegt und Rivotril® sogar in Tabletten- und Tropfenform auch für Kinder zugelassen ist. Midazolam (Buccolam) kann im Notfall als Lösung aus einer Einmal-Spritze heraus in den Mund gegeben werden.
Wer darf nicht mit Benzodiazepine behandelt werden?
Benzodiazepine dürfen nicht angewendet werden, wenn eine Überempfindlichkeit gegen Benzodiazepine oder einen der Hilfsstoffe bekannt ist.
Bei Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit dürfen Benzodiazepine ebenfalls nicht gegeben werden. Eingeschränkt ist die Anwendbarkeit von Benzodiazepinen bei Myasthenia gravis, spinalen und zerebellaren Ataxien, akuter Vergiftung mit Alkohol, Schlaf- oder Schmerzmitteln sowie Neuroleptika, Antidepressiva und Lithium, schweren Leberschäden, Schlaf-Apnoe-Syndromen und schwerer Atemschwäche, die Atemfunktion ist zu überwachen.
Wie gut wirken Benzodiazepine?
Benzodiazepine sind nach wie vor eines der weltweit am häufigsten eingesetzten Medikamente in der Behandlung der Notfälle in der Epilepsie (Status epilepticus, Anfallserie) bzw. im Status epilepticus Mittel der 1. Wahl.
Benzodiazepine sind gegen alle Anfallsformen gut wirksam, und es liegen langjährige Erfahrungen mit diesem Wirkstoff vor.
Zur kurzzeitigen Therapie in Tabletten- oder Tropfenform können Benzodiazepine eine schutzlose Phase, z.B. bei der Umstellung von einem Medikament auf ein anderes, überbrücken. Auch dann, wenn eine hohe Anfallsgefährdung anzunehmen ist, z.B. bei Flugreisen mit Zeitverschiebung oder bei Patientinnen, die streng an die Menstruation gebundenen Anfälle haben, können Benzodiazepine diese Zeit überbrücken bzw. zusätzlich gegeben werden.
Eine weitere Behandlungsmöglichkeit besteht darin Patientinnen in der Frühschwangerschaft (2. bis 16. Woche) auf ein Benzodiazepin umzustellen, da zumindest von Diazepam und Clonazepam nicht bekannt ist, dass sie zu Fehlbildungen des Fötus führen.
Was sind die wichtigsten Nebenwirkungen von Benzodiazepine?
Benzodiazepine sind Medikamente, die sehr gut verträglich sind aber, besonders in sehr hoher Dosierung, relativ ausgeprägte Nebenwirkungen verursachen können
Insbesondere eine starke Dämpfung mit ausgeprägter Müdigkeit, Benommenheit, verringerter Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit, Schwindel, und Störungen der Bewegungskoordination sind typisch.
Bei rascher Infusion in eine Vene kann es zu einer Atemdepression (Atmungsstörungen) kommen, das heißt, dass der Antrieb zu atmen verringert wird. Eine Gewöhnung an das Medikament kann bei längerer Anwendung auftreten (ab 3 Monate Einnahme), ebenso eine Wesensänderung, Muskelschwäche, Schleimproduktion der Speichel- und Atemwegsdrüsen.. Mundtrockenheit, Verstopfung, Übelkeit und Hautreaktionen sind beschrieben worden. Depressionen können verstärkt werden.
Während Benzodiazepine in der Regel eher dämpfend wirken, können sie insbesondere bei älteren Patienten einen gegenteiligen (paradoxen) Effekt haben, der zu gesteigerter Aktivität und Unruhe führt.
Wie werden Benzodiazepine bei der Erstbehandlung aufdosiert und welche Dosierungen sind sinnvoll?
Benzodiazepine können schnell aufdosiert werden. Übliche Dosierungen für Erwachsene sind für die Medikamente, die in der Therapie als Tabletten oder Tropfen vorliegen: Clobazam (Frisium®) 5-30 mg/Tag, Clonazepam (Rivotril®) 1-3 mg/Tag, Diazepam (Valium): 2,5-20 mg/Tag; Lorazepam (Tavor): 0,5-3 mg/Tag
Für Kinder gelten andere Werte, je nach Alter und Gewicht. Richtwerte sind: Clonazepam: Säuglinge: 0,5-1 mg/Tag, Kleinkinder: 1,5-3 mg/Tag, Schulkinder: 3-6 mg/Tag; Clobazam: 0,3-1 mg/kg/Tag. Midazolam in die Mundhöhle: Bei Kindern von 5-10 Jahren: 7,5 mg einmalig.
Zunächst wird üblicherweise auf etwa die halbe maximale Dosis eingestellt; wenn diese nicht wirksam ist, wird sie erhöht.
Gibt es Wechselwirkungen oder Unverträglichkeiten mit anderen Medikamenten (hauptsächlich anderen Medikamenten gegen Epilepsie)?
Benzodiazepine verstärken die Wirkung von Medikamenten, die dämpfend im Gehirn wirken, wie Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmitteln, Morphium und Alkohol. Durch Cimetidin und Erythromycin kann die Wirkung von Benzodiazepinen verstärkt werden.
Bei der Behandlung von Patienten mit Valproinsäure oder Phenytoin kann es bei gleichzeitiger Anwendung von Benzodiazepinen zu einer Wirkverstärkung der beiden genannten Medikamente kommen.
Ist es sinnvoll die Blutspiegel zu kontrollieren?
Die Kontrolle von Blutspiegeln ist nicht notwendig.
Gibt es in der Schwangerschaft etwas zu beachten?
Schwangerschaften bei Epilepsie-Patientinnen sind generell Risikoschwangerschaften, da das Kind durch Anfälle und auch durch gewisse Medikamente gefährdet sein kann.
Benzodiazepine sind Medikamente, die in der Schwangerschaft nicht unproblematisch sind.
Einzelne Medikamente sind in der Schwangerschaft nicht zugelassen (z.B. Frisium®), während Rivotril® nach strenger Nutzen-Risiko-Abwägung gegeben werden kann. Da Benzodiazepine als einziges Medikament in der Schwangerschaft kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko zu haben scheinen, kann der kurzzeitige Austausch von einem Medikament mit bekannt hohem Fehlbildungsrisiko (z.B. Valproinsäure) auf ein Benzodiazepin unter gewissen Umständen sinnvoll sein. Fragen sie hierzu ihren Epilepsie-Experten.
Umstritten ist, ob eine zusätzliche Einnahme von Folsäure (2,5-5 mg/Tag) einen Nutzen hat. Da dies aber möglich ist, und theoretisch Fehlbildungen des Kindes verhindert werden können, empfehlen wir unseren Patienten diese Einnahme.
Vermieden werden sollte in jedem Fall - wenn dies möglich ist - die Einnahme von mehreren Medikamenten gegen Epilepsie gleichzeitig. Hier haben viele Schwangerschaftsregister bewiesen, dass sich die Missbildungsrate mit jedem eingenommenen Medikamente deutlich erhöht.
Muss man sonst noch etwas beachten?
Benzodiazepine können das Reaktionsvermögen erheblich herabsetzen. Daher muss beim Führen eines Fahrzeuges (soweit dies im Hinblick auf die Anfälle überhaupt erlaubt ist!) oder der Bedienung von Maschinen bedacht werden, dass es zu Gefahrensituationen kommen kann und entsprechend vorsichtig gehandelt werden bzw. die Tätigkeit kann bei entsprechender Nebenwirkung nicht ausgeübt werden.
Hinweis:
Die Medizin als Wissenschaft und somit auch die Epileptologie sind durch dauernden Zugewinn an Forschungsergebnissen einem ständigen Wandel unterworfen. Die genannten Daten gelten daher nur zum Zeitpunkt der Herausgabe dieser Patienteninformation. In unregelmäßigen Abständen oder dann, wenn sich Wesentliches ändert, wird diese Patienteninformation überarbeitet und als neue Version zur Verfügung gestellt. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir daher nur die jeweils aktuelle Version empfehlen können. Jegliche Haftung für die hier veröffentlichten Informationen wird abgelehnt.
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Herausgeber: Prof. Dr. A. Hufnagel, Düsseldorf