Das Wichtigste über Phenytoin
Zusammenfassung:
Phenytoin ist eines der weltweit am häufigsten verwendeten Medikamente gegen Epilepsie und ein Mittel bei der Behandlung von allen Epilepsien fokalen Ursprungs, das heißt Herdepilepsien.
Bei primär (unmittelbar) generalisierten Anfällen ist Phenytoin nicht wirksam.
Absencen und Myoklonien können sogar verstärkt werden, hier sollte Phenytoin nicht gegeben werden.
Phenytoin hat bei dem gleichen Anwendungsbereich wie Carbamazepin mehr Nebenwirkungen als dieses, so dass Phenytoin in Deutschland durch Carbamazepin bei vielen Patienten ersetzt worden ist.
Besonders bei Frauen können unangenehme kosmetische Nebenwirkun-gen die Therapie stören.
Phenytoin kann die Wirksamkeit anderer Medikamente abschwächen. Insbesondere muss bedacht werden, dass die Wirkung der Antibabypille durch Phenytoin abgeschwächt oder aufgehoben werden kann, so dass andere Verhütungsmethoden zusätzlich oder stattdessen Anwendung finden müssen. Auch die Wirkung anderer Medika-mente kann abgeschwächt sein, diese sind im Text unten aufgelistet.
In der Schwangerschaft kann Phenytoin zu einer erhöhten Rate an Fehlbildungen führen, so dass vor einer Schwangerschaft eine Beratung stattfinden sollte, bei der über eine mögliche medikamentöse Umstellung oder Dosisänderung ge-sprochen wird.
Unter welchem Namen ist Phenytoin im Handel erhältlich?
Phenytoin ist als Epanutin®, Zentropil® und Phenhydan® in Deutschland erhältlich.
Wie wirkt Phenytoin?
Phenytoin ist ein Medikament, das hauptsächlich über die Blockade spannungsabhängiger Natriumkanäle wirkt. Es handelt sich dabei um Eiweißkanäle, die in der Zellmembranen von Nervenzellen Poren bilden und damit deren Innen- mit der Außenseite verbinden. Der Strom von Natriumsalzen von außen in die Nervenzelle hinein ist ein Vorgang, der für die Weiterleitung von elektrischen Impulsen wichtig ist. Die Blockade dieser Kanäle verhindert daher die Ausbreitung von rasch aufeinanderfolgenden Erregungen und hindert dadurch epileptische Aktivität an der Entstehung bzw. Ausbreitung.
Welche Anfälle/Epilepsieformen lassen sich mit Phenytoin behandeln?
Phenytoin ist ein Medikament, das in der Behandlung fokaler Anfallsformen, also bei herdförmigen Epilepsien eingesetzt wird. Einfach-fokale, komplex-fokale und sekundär generalisierte Anfälle (Grand mal) sind gleichermaßen durch Phenytoin wirksam behandelbar.
Für wen ist Phenytoin zugelassen?
Phenytoin ist für Patienten mit fokalen und sekundär generalisierten Anfällen zugelassen. Eine Altersbegrenzung gibt es nicht.
Wer darf nicht mit Phenytoin behandelt werden?
Phenytoin kann Anfälle bei Patienten mit idiopathisch-generalisierter Epilepsie verschlechtern. Hierunter fallen verschiedene Syndrome, die hauptsächlich durch primär generalisierte große Anfälle, Myoklonien und Absencen gekennzeichnet sind. Auch die juvenile (jugendliche) myoklonische Epilepsie fällt hierunter.
Diese Patienten sollten nicht auf Phenytoin eingestellt werden. Hier ist eine genaue Unterscheidung von z.B. Absencen und komplex-fokalen Anfällen erforderlich, da diese ähnlich ablaufen können, und nur bei den komplex-fokalen Anfällen Phenytoin gegeben werden darf, während es bei Absencen die Anfallsituation verschlechtern kann.
Ebenso darf Phenytoin nicht gegeben werden bei bekannter Überempfindlichkeit gegen Phenytoin oder einen der Hilfsstoffe des Medikaments, schweren Schädigungen der Blutzellen oder des Knochenmarks, AV-Block des Herzens (Reizleitungsblock) Grad II und III sowie beim Syndrom des kranken Sinusknotens. Ebenso darf Phenytoin bis zu drei Monate nach einem Herzinfarkt und bei deutlich eingeschränkter Pumpfunktion des Herzens nicht gegeben werden. Es sollte auch bei sehr niedrigem Blutdruck, langsamem Herzschlag (unter 50 pro Minute), leichteren Herzrhythmusstörungen und Vorhofflimmern oder -flattern nicht gegeben werden.
Wie gut wirkt Phenytoin?
Phenytoin ist nach wie vor eines der weltweit am häufigsten eingesetzten Medikamente in der Behandlung fokaler Epilepsien (Herdepilepsien). Insgesamt scheint die Wirksamkeit gleich gut zu sein wie die von Carbamazepin, das für die gleiche Anwendung bei Herdepilepsien zur Verfügung steht. Phenytoin hat insgesamt mehr Langzeitnebenwirkungen als Carbamazepin, und wird von daher bei gleichem Wirkmechanismus in Deutschland vom Carbamazepin abgelöst. Eine Besonderheit ist die epileptische Notfallsituation, das heißt z.B. ein Status epilepticus oder eine Anfallsserie. Da Phenytoin als Infusion gegeben werden kann, ist es im fokalen (herdförmigen) Status epilepticus ohne oder mit Generalisierung (Grand mal) einsetzbar und hier noch immer eines der wirksamsten Medikamente.
Was sind die wichtigsten Nebenwirkungen von Phenytoin?
Phenytoin ist ein Medikament, das relativ ausgeprägte Nebenwirkungen verursachen kann, insbesondere auch kosmetische, die vor allem bei Frauen unangenehm werden können.
Insgesamt rechnet man, dass ca. 1/3 der Patienten Nebenwirkungen bekommt.
Hierzu gehören in Abhängigkeit von den Blutspiegeln Doppeltsehen, Augenzittern, Gangunsicherheit, Kopfschmerzen, Hände-Zittern, Müdigkeit, Abgeschlagenheit und Denkschwierigkeiten. Es kann zu Appetitlosigkeit, Erbrechen und Gewichtsverlust kommen. Seltener sind Störungen des Herzrhythmus. Ein Blutdruckabfall und eine Verschlechterung einer Herz- oder Atemschwäche können insbesondere bei der Infusion vorkommen. Es kann zur Erweichung von Knochen kommen, auch die Schilddrüsenfunktion kann eingeschränkt sein.
Besonders bedeutsam ist, dass unter einer langjährigen Behandlung mit Phenytoin es zur Schrumpfung des Kleinhirnes mit nicht mehr zurückgehenden Beschwerden kommen kann. Wenn hierfür Hinweise vorliegen, muss Phenytoin abgesetzt werden und ein anderes Medikament muss stattdessen gegeben werden. Bei längerer Einnahme, insbesondere zusammen mit Valproinsäure, kann es zu Zeichen einer Hirnschädigung kommen.
Bei Frauen oder Mädchen kann es zum Auftreten eines männlichen Behaarungstyps am Körper oder im Gesicht kommen. Bei längerer Anwendung kann das Zahnfleisch wuchern. Dies geschieht insbesondere bei schlechter Mundhygiene. Selten treten allergische Reaktionen auf, die mit Hautbeteiligung oder Verringerung der Blutzellen einhergehen können.
Wie wird Phenytoin bei der Erstbehandlung aufdosiert?
Phenytoin kann schnell aufdosiert werden. Direkt zu Beginn kann mit 300 mg pro Tag begonnen werden, dies ist auch eine übliche Dosis in der Dauertherapie. Kinder bis zum 12. Lebensjahr erhalten 2 mg pro Kilogramm pro Tag. Diese Dosis kann alle 3 Tage um 1 mg pro Kilogramm erhöht werden, bis eine gute Einstellung anhand der Spiegel besteht.
Welche Tagesdosen sind sinnvoll?
Eine Erhaltungsdosis von 200-300 mg pro Tag ist bei Erwachsenen üblich. Bei Kindern gibt man 5-7 mg/kg pro Tag.
Gibt es Wechselwirkungen oder Unverträglichkeiten mit anderen Medikamenten (hauptsächlich anderen Medikamenten gegen Epilepsie)?
Phenytoin ist ein hepatischer Enzyminduktor. Dies bedeutet, dass durch Phenytoin der Abbau verschiedener anderer Medikamente in der Leber beschleunigt wird. Dort werden Körpereiweiße, die am Abbau verschiedender Substanzen (unter anderem Medikamente) beteiligt sind, angeregt und dadurch die Verweildauer der Substanzen im Körper gesenkt.
Phenytoin hat eine Reihe von Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, so dass hier nur die wichtigsten genannt werden können. Die Wirkung von Phenytoin wird durch Folsäure verringert.
Die Konzentration von Phenytoin im Körper wird durch Marcumar, Benzodiazepine, Magenmedikamente wie Ranitidin, Valproinsäure und Sultiam sowie trizyklische Antidepressiva, Medikamente gegen Depressionen, Sulfonamide sowie einige andere Medikamente erhöht.
Phenytoin selber wird im Körper durch säurehemmende Medikamente für den Magen, Ciprofolxacin, ein Antibiotikum, Phenobarbital, Carbamazepin, Primidon und Alkohol verringert.
Durch Phenytoin wird die Kozentration von Rifampicin (ein Tuberkulosemittel) im Körper gesteigert. Die Konzentrationen von Marcumar, Verapamil, Doxycyclin, Theophyllin, Kortisonpräparaten, Antidepressiva, Lamotrigin, Carbamazepin, Digoxin und Valproinsäure wird verringert.
Besonderes wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Phenytoin die Wirkung der Antibabypille aufheben kann und eine sichere Verhütung nicht mehr gewährleistet ist, so dass nur noch gewisse Antibabypillen wirksam sind und andere Verhütungsmethoden stattdessen oder zusätzlich ergriffen werden müssen.
Ist es sinnvoll, die Blutspiegel zu kontrollieren?
Phenytoin ist ein Medikament, bei dem dies tatsächlich Sinn macht. Einige Nebenwirkungen von Phenytoin sind offenbar spiegelabhängig, so dass es wichtig sein kann, den Spiegel in mittleren Bereichen zu halten, damit keine derartigen Nebenwirkungen auftreten. Auch die Erhaltungsdosis richtet sich nach den Blutspiegeln.
Übliche Spiegel in der Dauerbehandlung liegen bei 10-20 mg/l. Spiegel von über 25 mg/l liegen in dem Bereich, bei dem Überdosierungserscheinungen auftreten können. Insbesondere auch aufgrund der Langzeitnebenwirkungen von Phenytoin, die möglicherweise auch von den Spiegeln abhängen, ist es sinnvoll, die Spiegel zu kontrollieren und die Dosis daran anzupassen.
Gibt es in der Schwangerschaft etwas zu beachten?
Schwangerschaften bei Epilepsie-Patientinnen sind generell Risikoschwangerschaften, da das Kind durch gewisse Medikamente gefährdet sein kann.
Phenytoin ist ein Medikament, das in der Schwangerschaft nicht unproblematisch ist.
Aufgrund der vorliegenden Daten kann davon ausgegangen werden, dass insbesondere zwischen dem 20. und 40. Schwangerschaftstag Phenytoin eine erhöhte Rate an Fehlbildungen verursachen kann.
Typische Fehlbildungen sind eine verringerte Ausbildung der Finger- und Zehennägel. Auch andere Fehlbildungen traten auf. Daher sollte insbesondere in dieser Zeit die niedrigste Dosis, die Anfälle verhindert, gewählt werden. Da bei der Behandlung mit Phenytoin eine erhöhte Blutungsneigung bei Neugeborenen bekannt ist, sollte die Mutter kurz vor Ende der Schwangerschaft und das Kind nach der Geburt Vitamin K bekommen, das Blutungen verhindern kann.
Umstritten ist, ob eine zusätzliche Einnahme von Folsäure (2,5-5 mg/Tag) einen Nutzen hat. Da dies aber möglich ist, und theoretisch Fehlbildungen des Kindes verhindert werden können, empfehlen wir unseren Patienten diese Einnahme.
Vermieden werden sollte in jedem Fall - wenn dies möglich ist - die Einnahme von mehreren Medikamenten gegen Epilepsie gleichzeitig.
Muss man sonst noch etwas beachten?
Phenytoin kann das Reaktionsvermögen herabsetzen. Daher muss beim Führen eines Fahrzeuges (soweit dies im Hinblick auf die Anfälle überhaupt erlaubt ist!) oder der Bedienung von Maschinen bedacht werden, dass es zu Gefahrensituationen kommen kann und entsprechend vorsichtig gehandelt werden bzw. die Tätigkeit kann bei entsprechender Nebenwirkung nicht ausgeübt werden.
Hinweis:
Die Medizin als Wissenschaft und somit auch die Epileptologie sind durch dauernden Zugewinn an Forschungsergebnissen einem ständigen Wandel unterworfen. Die genannten Daten gelten daher nur zum Zeitpunkt der Herausgabe dieser Patienteninformation. In unregelmäßigen Abständen oder dann, wenn sich Wesentliches ändert, wird diese Patienteninformation überarbeitet und als neue Version zur Verfügung gestellt. Bitte haben Sie Verständnis, dass wir daher nur die jeweils aktuelle Version empfehlen können. Jegliche Haftung für die hier veröffentlichten Informationen wird abgelehnt.
Die hier dargelegten Informationen wurden nach bestem Wissen recherchiert. Trotzdem kann es zu Fehlern kommen, die sich z.B. aus Schreib- oder Übertragungsfehlern ergeben. Daher wird jeder Benutzer aufgefordert, sich im Zweifel andere Literatur zusätzlich zu besorgen und Angaben zu überprüfen.
Fachinformationen für Ärzte finden sich unter anderem unter:
Zusätzliche Informationen bietet Patienten die Packungsbeilage des Medikaments. Zudem können Sie Ihren behandelnden Arzt oder den Apotheker fragen.
Herausgeber: Prof. Dr. A. Hufnagel