Medikamentöse Interaktionen von Antikonvulsiva
Hintergrund:
Antikonvulsiva können in die Verstoffwechslung anderer Medikamente eingreifen oder durch diese beeinflusst werden. Hierbei sind in der Epileptologie oftmals die Interaktionen unter den Antikonvulsiva relevant und in zahlreichen Tabellen und Interaktionsmatrices abgehandelt worden. Allerdings werden auch Nicht-Antikonvulsiva beeinflusst oder können umgekehrt die Plasmaspiegel von Antikonvulsiva erheblich beeinflussen. Vor allem zu letzterer Gruppe soll dieser Text in kompakter Form eine Übersicht liefern, die es in der Klinik ermöglicht, die Wechselwirkung(en) zwischen Antikonvulsiva und anderen Medikamenten einzuschätzen. Hierbei wird allerdings jeweils von der (Ideal-)Situation ausgegangen, dass es sich jeweils nur um zwei beteiligte Partner handelt. Für komplexere Behandlungssituationen mit mehreren Substanzen müssen ggf. weitergehende Informationen eingeholt werden.
Im Folgenden werden für die einzelnen Antikonvulsiva die jeweiligen Interaktionen abgehandelt, und zwar in der Form, dass zunächst dargestellt wird, welche Medikamente durch das Antikonvulsivum beeinflusst werden, danach, wie der Stoffwechsel des Antikonvulsivum selber verändert wird.
„Klassische Antikonvulsiva“: Benzodiazepine (hier Clonazepam), Carbamazepin (und Oxcarbazepin), Phenobarbital (und Primidon), Phenytoin und Valproat
Diese Substanzen gehören zu den länger eingeführten, „klassischen“ Antikonvulsiva.
Ihre Wirksamkeit ist seit über 40 Jahren bekannt und hat zu einer deutlichen Verbesserung der Therapieoptionen geführt. Allerdings haben sie viele Interaktionen, vor allem durch Enzyminduktion des Cytochrom P450 in der Leber. Dies gilt in erster Line für Carbamazepin, Phenytoin und Phenobarbital. Carbamazepin induziert vor allem CYP 1A2, 2C9 und 3A4; Phenytoin 2C19 und 3A4. Oxcarbazepin als Derivat des Carbamazepin ist neutraler, verursacht aber auch Interaktionen, da es CYP 2C19 inhibiert und 3A4 induziert.
Valproat ist für manche Substanzen ein Enzyminhibitor (v. a. Codein und Barbiturate) und verdrängt andere aus der Plasmaeiweißbindung.
Für die Benzodiazepine ist vor allem eine zentralnervöse Wirkungsverstärkung durch das Zusammenspiel mit anderen dämpfenden Substanzen relevant. Narkotika, Psychopharmaka und Opioide und Alkohol sind hier besonders zu nennen.
Beispiel Clonazepam:
Clonazepam reduziert die Spiegel von: hormonalen Kontrazeptiva, L-Dopa. Erhöht wird die Wirkung von Alfentanil, Alkohol, tri- und tetracyclischen Antidepressiva, Barbituraten (kurzfristig durch Wirkungsverstärkung), anderen Benzodiazepinen, Biperiden, MAO-Hemmern und Opiaten.
Clonazepam selber wird in der Wirkung verstärkt durch Alkohol, orale Antikoagulantien, Barbituraten, anderen Benzodiazepinen, Fluoxetin (verbesserte Aufnahme im Darm), MAO-Hemmern, Opiaten, Tolbutamid und Valproat (Verdrängung aus der Proteinbindung). Reduziert wird die Wirksamkeit von Clonazepam durch Barbiturate (langfristig durch verstärkten Abbau an P 450), Carbamazepin, MAO-Hemmern (durch Senkung der Krampfschwelle), Phenytoin, Phenothiazine und Primidon.
Carbamazepin:
Carbamazepin verursacht eine Enzyminduktion am Cytochrom P450. Hierdurch beschleunigt es nach ca. 3-7 Tagen nach Beginn der Therapie den Abbau von: Albendazol, oralen Antikoagulantien, Barbituraten, Benzodiazepinen, Chinidin, Clonazepam, Cyclosporin A, CYP 1A2-Substraten, CYP 2C9-Substraten, CYP 3A4-Substraten, Digitalisglykosiden, Disopyramid, Donepezil, Doxycyclin, Felodipin, Glucocortikoiden, Kontrazeptiva, Lamotrigin, Mebendazol, Methadon, Mexiletin, Muskelrelaxantien, Nifedipin, Praziquantel, Tacrolimus, Theophyllin, Topiramat, Tiagabin, Valproinsäure, Verapamil. Erhöht wird der Spiegel von Lithium. MAO-Hemmer sind kontraindiziert.
Carbamazepin wird durch Phenobarbital, Felbamat und Phenytoin beschleunigt abgebaut.
Durch Cimetidin, Clarithromycin, Diltiazem, Erythromycin und Isoniazid wird der Abbau von Carbamazepin am Cytochrom P450 gehemmt und der Spiegel kann ansteigen. Eine Grippeschutzimpfung kann die Wirksamkeit verstärken.
Oxcarbazepin als Derivat des Carbamazepin ist insgesamt stoffwechselneutraler und verursacht weniger Interaktionen. CYP 3A4 wird geringfügig induziert. Reduziert wird die Konzentration von Nifedipin-Analoga, Felodipin, oralen Kontrazeptiva. Lithiumspiegel können erhöht werden. Durch Barbiturate kann der Oxcarbazepin bzw. MHD-Spiegel erhöht werden. MAO-Hemmer sind kontraindiziert. Die Spiegel von Cyclosporin A und Tacrolimus sollten kontrolliert werden.
Phenobarbital und Primidon
Hier gilt wie für Carbamazepin und Phenytoin, dass es zu einer Induktion des Cytochrom P450 kommt, insbesondere der Untereinheiten 2C9, 2C19 und 3A4.
Verringert wird durch Phenytoin der Spiegel von: Antidiabetika, oralen Antikoagulantien, Bupropion, Carbamazepin, Chinidin, Cyclosporin A, CYP 2C9-Substraten, CYP 2C19-Substraten, CYP 3A4-Substraten, Diltiazem, Digitalisglykosiden, Disopyramid, Donepezil, Doxycyclin, Ethosiximid, Glucocortikoiden, Griseofulvin (verminderte Resorption), Haloperidol, Kontrazeptiva, Lamotrigin, Mebendazol, Methadon, Metoprolol, Metronidazol, Mexiletin, Montelukast, Muskelrelaxantien, Neuroleptika, Nifedipin(-analoga), Paroxetin, Phenytoin, Praziquantel, Propafenon, Propranolol, Tacrolimus, Tamoxifen, Theophyllin, Tiagabin, Valproinsäure, Venlafaxin, Verapamil, Vriostatika.
Erhöht werden die Spiegel von Methotrexat durch Verdrängung aus der Eiweißbindung; dies erhöht wiederum die Ausscheidung von Methotrexat. Die Wirkung von Alkohol und Benzodiazepinen wird verstärkt, ebenso die Nebenwirkungen von Ginkopräparaten.
Phenobarbital-Spiegel werden durch Felbamat, Oxcarbazepin, Sultiam, Ticlopidin, Tranylcypromin, Valproinsäure erhöht.
Eine Grippeimpfung kann zu einer Wirkungsverstärkung führen.
Eine Hemmung der Insulinsekretion durch Phenytoin und dadurch die Tendenz zu einer diabetischen Stoffwechsellage wird diskutiert.
Phenytoin:
Phenytoin verhält sich sehr ähnlich wie Carbamazepin, kann jedoch durch mehr Substanzen selber erhöht werden, zumal es auch durch andere Substanzen, z.B. Valproat und Salicylate, aus der Plasmaeiweißbindung verdrängt werden kann. Phenytoin selber verdrängt Methotrexat aus der Plasmaeiweißbindung und führt zu einer schlechteren Verträglichkeit. Durch Konkurrenz um das Cytochrom P 450 kann der Phenytoin-Spiegel durch verschiedene Substanzen erhöht werden.
Verringert wird durch Phenytoin der Spiegel von: Albendazol, Antidiabetika, oralen Antikoagulantien, Barbituraten, Carbamazepin, Chinidin, Cyclosporin A, CYP 2C19-Substraten, CYP 3A4-Substraten, Digitalisglykoside, Disopyramid, Donepezil, Doxycyclin, Felodipin, Furosemid (verringerte Aufnahme im Darm), Glucocortikoide, Irtaconazol, Kontrazeptiva, Lamotrigin, Mebendazol, Methadon, Mexiletin, Muskelrelaxantien, Praziquantel, Tacrolimus, Theophyllin, Topiramat, Tiagabin, Valproinsäure, Verapamil.
Erhöht werden die Spiegel von Lithiumsalzen und Methotrexat.
Phenytoin-Spiegel werden durch Acetylsalicylsäure (Verdrängung aus der Plasmaeiweißbindung), Amiodaron, tricyclische Antidepressiva, orale Antikoagulantien, Nicht-steroidale Antirheumatika, Benzodiazepine, Chloramphenicol, Cimetidin, Diltiazem, Disulfiram, Felbamat, Fenyramidol, Fluconazol, Fluoxetin, Isoniazid, Iconazol, Ketoconazol, Levetiracetam, Metronidazol, Neuroleptika (Phenothiazine), Omeprazol, Sulfonamide, Sultiam, Topiramat, Valproat und Viloxazin erhöht.
Verringert werden die Phenytoin-Spiegel durch Alkohol, Antazida, Barbiturate, Carbamazepin, Folsäure und Vigabatrin. Eine Grippeimpfung kann sowohl die Spiegel erhöhen als auch senken.
Eine Hemmung der Insulinsekretion durch Phenytoin und dadurch die Tendenz zu einer diabetischen Stoffwechsellage wird diskutiert.
Valproinsäure:
Valproat ist relativ stoffwechselneutral. Es kann dosisabhängig die Thrombozytenfunktion stören und die Wirkung von ASS und Phenprocoumon verstärken. Es kommt zu folgenden Wechselwirkungen:
Valproat verringert die Spiegel von keinen anderen Medikamenten.
Erhöht werden Spiegel von Acetylsalicylsäure, tricyclischen Antidepressiva, oralen Antikoagulantien, Barbituraten, Felbamat, Lamotrigin (auf das Doppelte), Phenytoin (wird durch Valproat aus der Plasmaeiweißbindung gedrängt) .
Valproat selber wird durch ASS, Clarithromycin, Codein, Erythromycin, Felbamat und Lamotrigin im Spiegel erhöht, durch Carbamazepin und Phenytoin gesenkt. Hierbei verdrängen hohe Dosen von Salicylaten und Felbamat Valproat aus der Plasmaeiweißbindung und sorgen bei konstanten absoluten Spiegeln durch erhöhte freie Valproinsäure für verstärkte Wirkung bzw. Nebenwirkungen.
„Neue“ Antikonvulsiva: Gabapentin, Lamotrigin, Levetiracetam, Pregabalin, Topiramat
Antikonvulsiva, die in den letzten Jahren bzw. im letzten Jahrzehnt auf den Markt kamen, zeichnen sich insgesamt durch verbesserte pharmakokinetische Eigenschaften aus. Sie verursachen weniger Interaktionen und sind daher bei Patienten mit multiplen (z. B. internistischen) Begleitmedikamenten oft erste Wahl. Dennoch sind zwischen den einzelnen Substanzen markante Unterschiede zu berücksichtigen.
Gabapentin:
Für Gabapentin sjnd nur wenige medikamentöse Interaktionen bekannt. Gabapentin vermindert die Bioverfügbarkeit von Antacida um bis zu 24%. Bei gleichzeitiger Morphingabe kann sich der Serumspiegel von Gabapentin deutlich erhöhen (bis zu 44%).
Lamotrigin:
Lamotrigin ist wenig interaktiv Die Spiegel von hormonalen Kontrazeptiva können gesenkt werden, was zu einem unvollständigen kontrazeptiven Schutz führen kann. Lamotrigin selber wird im Spiegel durch Barbiturate, Carbamazepin, Phenytoin, Primidon und Östrogene im Spiegel gesenkt. Paracetamol beschleunigt die Ausscheidung von Lamotrigin. Valproinsäure hemmt den Abbau von Lamotrigin, so dass die Lamotrigin-Dosierung um 50% verringert werden sollte.
Levetiracetam:
Levetiracetam ist fast völlig stoffwechselneutral. Ledigleich der Spiegel von Phenytoin kann erhöht sein; diese Daten sind aber widersprüchlich. Probenicid verringert die renale Ausscheidung von Levetiracetam, eine klinische Relevanz scheint es nicht zu geben.
Pregabalin ist noch nicht lange auf dem Markt. Bekannte Interaktionen (u. a. aus dem Zulassungsverfahren) sind gegenseitige Wirkungsverstärkung mit Alkohol, Barbituraten und Benzodiazepinen, Opiaten und Primidon.
Topiramat:
Topiramat ist ein Medikament mit sehr wenigen medikamentösen Interaktionen. Das Risiko der Nierensteinbildung steigt in Kombination mit Triamteren, Acetazolamid und hochdosiertem Vitamin C leicht an.
Unter Topiramattherapie kann der Spiegel von Digoxin minimal (bis 12%) absinken, was wahrscheinlich klinisch nicht bedeutsam ist.. Oberhalb eines Dosierungsbereichs von 200mg Tag kann es zu einer Absenkung des Östrogenanteils eines Kontrazeptivums kommen. Dem kann durch Auswahl eines Gestagenpräparates oder eines Kombinationspräparates mit höherem Östrogenanteil begegnet werden.
Die Spiegel von Topiramat werden durch Carbamazepin und Phenytoin reduziert und durch Hydrochlorthiazid erhöht, so dass hier die Dosierung von Topiramat angepasst werden muss.
Fazit:
Insbesondere bei den klassischen Antikonvulsiva sind eine Vielzahl von Interaktionen zu beachten. Die Antikonvulsiva der neueren Generation haben somit deutliche Vorteile in der Handhabung. Dies gilt insbesondere dann, wenn mehrere Antikonvulsiva eingesetzt werden oder eine Polypharmakotherapie mit anderen Substanzen appliziert wird. In der Praxis ist dies insbesondere bei älteren oder multimorbiden Patienten relevant.